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Afrikanische Großraumdisco

26. Oktober 2011

Kompakt Disk 11/11

Wenn Vokalakrobaten auf Vokalakrobaten treffen: Die New Yorker Dirty Projectors haben mit Björk das Mini-Album „Mount Wittenberg Orca“ aufgenommen. Auf sieben Stücken und nur 20 Minuten entfalten sie eine so liebliche, verspielte und dennoch höchst kunstvolle Musik, die man direkt ins Herz schließt (Domino). Einst mit brachialem Noise Rock gestartet klingt die Berliner Band Mutter um Max Müller inzwischen richtig sanft. Auf dem neuen Album „Mein kleiner Krieg“ gibt es sogar Streicher. Doch der Albumtitel verspricht, dass Müller nach wie vor singt, wie er denkt (Die eigene Gesellschaft). Vor knapp 15 Jahren startete im Umfeld des Kölner Plattenladens A-Musik das Label Sonig. Jan St. Werner von Mouse on Mars und Frank Dommert haben seitdem unzählige Platten zwischen Tanzfläche und Sofa, zwischen elektronisch und akustisch – oft aber auch alles zugleich – veröffentlicht. Das Überraschende, Unkonventionelle ist immer die Messlatte. Das „Sonig Boxset Thing“ versammelt auf zwei CDs 30 Meilensteine des Katalogs (Mouse on Mars, Schlammpeitziger, Workshop, Jason Forrest, Microstoria u.v.m.), eine DVD wird zum experimentellen Musikfernsehen mit 30 Videos. Zugleich erscheint das neue Werk des Kölners Schlammpeitziger. Auf seinem neunten Album „Vorausschauende Bebauung“ verschmilzt er per Synthesizer spielfreudig elektronische Wegmarken von Krautrock über New Wave bis Techno. Andreas Dorau hat einen Gastauftritt. Ebenfalls in Köln zu Hause ist Niobe. Hatten sich frühere Alben mehr an einer subjektivistisch-psychedelischen Erinnerung an Soul und Blues orientiert, nähert sie sich mit „The Cclose Calll“ dem guten alten Rock'n'Roll an, schwüles Exotica-Feeling beherrscht aber weiterhin ihre komplexen, collagenartigen Songs (Tomlab).

Der reine Wahnsinn: Rustie, ein guter Kumpel von Hudson Mohawke, schmeißt alle Gemeinheiten der 80er Jahre – von Chartssülze bis 8 Bit-Konsolensounds – in den Fleischwolf und macht daraus kleinteiligen Hackbraten mit glitzernder Soße. Fies und geil zugleich – genau wie dieses erschütternde Plattencover und der Titel „Glass Swords“. Daft Punk tragen eine Mitschuld (Warp). Buraka Som Sistema machen ein electroides Update der Tanzmusik Kuduro aus Angola. Die portugiesische Crew klingt auf ihrem zweiten Album „Komba“ immer noch überfallsmäßig brutal. So stelle ich mir in meiner grenzenlosen Naivität den Sound einer afrikanischen Großraumdisco vor: roh und aggressiv. Die erste Single „Hangover“ beißt einen gleich in Ohr (Rough Trade). Kinderzimmer Productions, die wohl beste deutsche HipHop-Crew, hat sich nach 15 Jahren aufgelöst. Zum Abschied gibt es auf Platte ihr Konzert mit dem Radio Symphonie Orchester Wien, das mit fetten Bläsern, Streichern und Beats gar nicht bieder, sondern ungeheuer gut und cool klingt (Trikont).

alva noto alias Carsten Nicolai arbeitet auch auf dem neuen Album „univrs“ höchst konzeptuell. Es geht um nichts weniger als die Ausdifferenzierung einer universellen Sprache. Jenseits des Konzepts klingen die messerscharfen Digitalsounds in ihrer minimalistischen Anordnung aber wieder betörend wie eh und je (raster-noton). Das Berliner Zeitkratzer-Ensemble interpretiert mit der Reihe „old school“ bedeutende Komponisten der Neuen Musik: Nach Cage u.a. folgt nun Karlheinz Stockhausen mit Intuitiver Musik: Fünf der 15 Stücke von „Aus den sieben Tagen“ (1968) spielen Zeitkratzer in ihrer kühlen, metallischen Art und proklamieren den Unterschied zwischen geleiteter Intuition und freier Improvisation.

CHRISTIAN MEYER

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