„Ich finde dich zum Kotzen“. Mit diesem Ausruf geht 1960 ein schwarzweißer Krimi namens „Außer Atem“ zu Ende. Sprechen tut die Worte ein junger Schauspieler mit breiter Nase und dicken Lippen. Jean-Paul Belmondo. Er liegt auf einer Straße in Montparnasse und schließt sich, von mehreren Revolverkugeln der Polizei tödlich getroffen, selbst die Augen. Das Mädchen über ihm, Jean Seberg, schaut noch kurz in die Kamera und fragt: „Was heißt das?“ Dann ist Schluss. Und gleichzeitig alles am Anfang. Denn „Außer Atem“ entwickelt sich zum Startschuss der neuen französischen Welle, zur „Detonation“, die noch Jahre später „in unseren Ohren hallt“ (Francois Guérif, Stéphane Levy-Klein). In den kommenden Jahren wird der Sohn einer Tänzerin und eines bekannten Pariser Bildhauers zum neuen Superstar des französischen Kinos. Er spielt gleichzeitig in melodramatischen Krimis wie „Der Panther wird gehetzt“ und bedeutenden künstlerischen Werken wie Godards „Eine Frau ist eine Frau“ und Jean-Pierre Melvilles „Eva und der Priester“. Sowohl das Publikum der Filmpaläste auf den Champs-Elysées als auch das der kleinen Pariser Cinemas „d’art et d’essai“ in den Seitenstraßen der Uni-Viertel lernt ihn kennen und lieben. Belmondo sprudelt über vor unbekümmerter Spielfreude, er weiß um die verschiedenen Typen, liebt Akrobatik und die antibürgerlichen Komödien Georges Feydeaus.
Von "Pierrot le fou" zum "As der Asse"
Nach mehreren Melodramen und Krimis beginnt mit Philippe de Brocas „Cartouche“ Belmondos Karriere als europäischer Unterhaltungsstar. Zwar dreht er zunächst weiter mit Melville und auch Godard, doch nach einer zweijährigen Pause entscheidet er sich ab 1968 endgültig für das Action- und Komödienkino. Mit dem Meisterwerk „Elf Uhr nachts – Pierrot le fou“ im Rücken, seinem vielleicht größten Film, wird er als sein eigener Produzent ab 1974 von den soliden Handwerkern Henri Verneuil und de Broca zum neuen Publikumsmagneten aufgebaut. Mit von der Presse offen kritisierten, riesigen Marketingkampagnen seines Freundes René Chateau bricht er alle bisherigen Kassenrekorde. Jedes Jahr kommt mindestens ein neuer „Belmondo“ in die Kinos, bis der Höhepunkt mit Gérard Ourys „Das As der Asse“ 1982 erreicht ist. Das Hollywood-Blockbusterkino macht nicht nur Bebel zu schaffen, auch andere Stars treten in den kommenden Jahren ab. Drei Wochen vor dem Start seiner letzten Megaproduktion „Die Glorreichen“ wird zudem sein langjähriger Agent Gérard Lebovici erschossen in einer Tiefgarage gefunden. Weder mit „Fröhliche Ostern“ noch mit „Der Boss“ kann Belmondo an seine großen Erfolge anschließen und wendet sich wieder dem Theater zu, da er das Fernsehen verabscheut. Mit Lelouchs „Der Löwe“ gelingt ihm 1988 eine triumphale Rückkehr als Charakterdarsteller, neue spektakuläre Kinoerfolge bleiben jedoch aus.
Rückkehr zu den Cineasten
2001 erleidet Frankreichs beliebtester Filmheld einen schweren Schlaganfall, der ihm für Jahre die Sprache raubt. Erst 2009 traut er sich wieder vor die Kameras und spielt in Francis Husters „Ein Mann und sein Hund“, der allerdings bitter floppt. Belmondo überwirft sich vor dem Start mit dem Produzenten, da dieser weder Schnitt, Musik oder Plakatmotiv mit dem Star abstimmen will. „Wenn man mehr als 75 Filme auf dem Buckel hat und ein Projekt so auf deinen Namen gebaut wird, dann ist es schon hart, zu schlucken, wenn man derart außen vor gelassen wird“, klagt Belmondo in „Paris Match“.
Zeitgleich passiert jedoch etwas erstaunliches: Die Cineasten, die ihn so lange gemieden haben, laden ihn zu Wiederaufführungen seiner „Nouvelle Vague“-Filme ein, er wird 2010 von der Kritikervereinigung in Los Angeles für sein Lebenswerk geehrt und ein Jahr später ins jahrelang verhasste Cannes eingeladen. Die Art, mit der Bebel Jahrzehnte das Kinopublikum mit Kunst und Kommerz versöhnte, wird endlich als außergewöhnliche Leistung anerkannt. Wer sonst konnte mit soviel Lust und Leichtigkeit von der Hochstapelei des Lebens erzählen? „Der Beruf des Schauspielers erlernt sich nicht in einem Kurs am Konservatorium, sondern auf der Straße. Man muss sich umsehen. Das ist tatsächlich das Beste.“ Belmondos Lust am Schauspielen ist in allen seinen Filmen zu sehen. Sie ist in fast jeder Szene greifbar. Es gibt auch unter den schlechteren Filmen keinen, der auf seine Kraft- oder Lustlosigkeit zurückfiele. Godard konnte als Regisseur in den 60ern mit ihm mithalten, Melville lobte ihn als „großen Diener der Komödie“, anderen ging oftmals vorzeitig die Puste aus. Louis Aragon formulierte über die mitreißende Kraft Belmondos in „Pierrot le fou“ folgendes: „Vielleicht ist sein Wahnsinn nur da, um in die Unordnung unserer Zeit die bestürzende Ordnung der Leidenschaft zu werfen.“
Das Filmfestival von Cannes verbeugt sich vor Belmondo am 17. Mai mit einem Ehrenabend und der Verleihung der Goldenen Palme für sein Lebenswerk. Vincent Perrot hat für seinen Dokumentarfilm „Belmondo, itinéraire...“ die Karriere des französischen Superstars beleuchtet und dafür mit Kollegen und Familienmitgliedern gesprochen. Der Film wird in Cannes erstmals gezeigt, ebenso wie neue Kopien der Belmondo-Erfolge „100.000 Dollar in der Sonne“ und „Le Magnifique“.
Die komplette Filmografie Belmondos:
2009: Ein Mann und sein Hund
2000: Amazone
1999: Peut-être
1998: Half a Chance - Einer von beiden
1996: Désiré
1995: Les Misérables
1992: Das unheimliche Haus
1988: Der Löwe
1987: Der Profi 2
1985: Der Boss
1984: Fröhliche Ostern
1984: Die Glorreichen
1983: Der Außenseiter
1982: Das As der Asse
1981: Der Profi
1980: Der Puppenspieler
1979: Der Windhund
1977: Ein irrer Typ
1976: Der Körper meines Feindes
1976: Der Greifer
1975: Der Unverbesserliche
1975: Angst über der Stadt
1974: Stavisky
1973: Le Magnifique
1973: Der Erbe / Der Draufgänger
1972: Der Mann aus Marseille / Schlag auf Schlag / Der Einzelgänger
1972: Doktor Popaul / Der Halunke / Die Bulldogge
1971: Der Coup
1971: Musketier mit Hieb und Stich / Der Teufelskerl
1970: Borsalino / Die Losleger
1969: Der Mann, der mir gefällt
1969: Das Geheimnis der falschen Braut
1969: Das Superhirn
1968: Ho! / Die Nr. 1 bin ich
1967: Der Dieb von Paris
1967: Casino Royale
1966: Brennt Paris?
1966: Geliebter Schuft / Der Schlaufuchs
1965: Die tollen Abenteuer des Monsieur L. / Das Rauhbein
1965: Elf Uhr nachts - Pierrot le fou
1965: An einem heißen Sommermorgen
1964: Dünkirchen, 2. Juni 1940
1964: Jagd auf Männer
1964: Der Boss hat sich was ausgedacht
1964: 100 000 Dollar in der Sonne
1964: Abenteuer in Rio / Der Unverwüstliche
1963: Bonbons mit Pfeffer
1963: Die Millionen eines Gehetzten
1963: Heißes Pflaster
1963: Verrückte Seefahrt
1962: Der Teufel mit der weißen Weste
1962: Ein Affe im Winter
1962: Cartouche, der Bandit
1961: Sie nannten ihn Rocca
1961: Galante Liebesgeschichten
1961: Eva und der Priester
1961: Eine Frau ist eine Frau
1961: Das Haus in der Via Roma
1960: Und dennoch leben sie
1960: Die Nacht vor dem Gelübde
1960: Charlotte et son Jules
1960: Die Französin und die Liebe
1960: Riskanter Zeitvertreib
1960: Moderato Cantabile - Stunden voller Zärtlichkeit
1960: Der Panther wird gehetzt
1960: Außer Atem
1959: Schritte ohne Spur
1959: Ein Engel auf Erden
1958: Leben und lieben lassen
1958: Die sich selbst betrügen
1958: Sei schön und halt den Mund
1958: Sonntagsfreunde
1957: A pied, à cheval et en voiture
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