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Umstrittener Initiationsritus
Foto: Mira Moroz

Cut, Cut, Cut

27. September 2012

Beschneiden oder Nicht-Beschneiden ist nicht die einzige Frage – THEMA 10/12 BESCHNEIDUNG

Dieses Jubiläum hätten wir fast verpasst: Im April 2002 hatte die „Internationale Föderation der säkularen und humanistischen Juden“ in Würdigung der jüdischen Geschichte und Kultur wie der Gleichberechtigung der Geschlechter erklärt: „Eine Beschneidung ist für die jüdische Identität nicht erforderlich.“ An ihre Stelle solle mit der „Brit Schalom“ eine unblutige und für beide Geschlechter gleiche „Begrüßungszeremonie“ treten. Auch wenn die Föderation vielleicht eine der „zugestanden kleineren Organisationen“ gegenüber dem religiösen Mainstream ist, wie derzeit gerne politisch korrekt formuliert wird, verweist ihr Vorstoß doch auf gleich zwei prominente Streitfragen nicht nur in der jüdischen Gemeinde. Und die hängen irgendwie zusammen.

Schnipp-Schnapp
Die Beschneidung wird gerne als „Jahrtausende alte“ Praxis verteidigt. Medizinisch gesehen soll der Eingriff heute das Krebsrisiko mindern, ebenso das Risiko von Krankheiten, die durch sexuelle Kontakte übertragen werden – hier geht es vor allem um AIDS. Seit viktorianischen Zeiten hält sich zudem hartnäckig das Gerücht, eine Beschneidung bremse die Masturbation. Letzteres erklärt, weshalb in den prüden USA lange Zeit die Mehrheit der männlichen Säuglinge routinemäßig beschnitten wurde. Allerdings hat die Vereinigung amerikanischer Kinderärzte das bereits vor längerer Zeit für überflüssig erklärt. Keine der dem Schnitt zugeschriebenen Wirkungen hielt einer empirischen Nachprüfung ausreichend stand. Seitdem sinkt die Zahl der Eingriffe stetig. In England etwa sank diese Zahl ebenfalls dramatisch, als der Staatliche Gesundheitsdienst diese Leistung aus seinem Angebotskatalog strich. In Sachen AIDS-Prävention verweisen neuere Analysen die positiven Statistiken der Weltgesundheitsorganisation (60 % weniger AIDS-Kranke unter Beschnittenen in Afrika) ins Reich der Phantasie. Bleiben Einzelfälle mit der notwendigen medizinischen Indikation.

Ganz anders der religiös motivierte Eingriff. Während sich im Koran keinerlei Hinweise dazu finden, beschreibt die Thora eine Beschneidung der männlichen Nachkommen als unverzichtbar für den „Bund mit Gott“, weshalb der Schnitt als unantastbar gilt. Nach dieser Interpretation wird man erst durch Beschneidung zum Juden. Freilich macht der mit modernen Gesellschaften verbundene Trend zur Säkularisierung auch vor jüdischen Gemeinden nicht Halt. Längst nicht mehr alle Juden sind beschnitten – in den USA, Deutschland oder England ebenso wenig wie in Schweden. Selbst in Israel verweigert sich eine wachsende Minderheit dem Ritus. Der Anteil der Unbeschnittenen dürfte ohne den immer wieder beklagten sozialen Druck, es doch zu tun, noch größer sein. Denn allen Abwiegelungen zum Trotz ist die Operation schmerzhaft und irreversibel, das damit verbundene Risiko durch Infektionen u.a. wird gerne kleingeredet.

Dabei verstehen sich auch die Nicht-Beschnittenen als Juden. Letzteres ist wiederum Mann schon dann, wenn er von einer jüdischen Mutter geboren wird. Der oben erwähnte „Bund mit Gott“ wäre dann sozusagen eine Draufgabe. In grauen Vorzeiten war die Beschneidung durchaus fortschrittlich, ersetzte sie doch das tatsächliche Sohnesopfer an Gott durch einen symbolischen Akt – die Abtrennung der Vorhaut an Stelle der Tötung. Die Zeit der Menschenopfer ist allerdings schon länger vorbei. Auffällig bleibt, dass damals alles von Mann zu Mann und Mann zu Gott geregelt wurde. Für Mädchen gab und gibt es bis heute keine vergleichbare Initiation – die Jüdin soll stattdessen einmal im Monat die Mikwe, das rituelle Bad, aufsuchen. (Daraus hat sich die Taufe entwickelt.) „Bis heute prägt ein männergemachtes Frauenideal die Realität der Geschlechter“, notiert die JudaistinRachel Herweg.

Vorhaut des Herzens
Die Irritation über das Frauenideal setzt schon mit der Bibel ein, denn im Buch Moses wird erzählt, dass Eva nicht etwa die erste und einzige Frau von Adam war. Ihre Vorgängerin Lilith mochte allerdings nicht mit einem Mann zusammenleben, der sie nicht als Gleiche behandelte. So „baute“ Gott ein zweites Exemplar aus Adams Rippe – keine Gefährtin auf Augenhöhe, sondern eine „Hilfe“ für den ersten Mann und eine pikante Korrektur des ersten göttlichen Schöpfungsplans. Der Unterschied zwischen Lilith und Eva wird mit dem zwischen Sonne (Lilith) und Mond verglichen.

Diese Geschichte spiegelt das Frauenbild in allen drei großen monotheistischen Religionen. Im Judentum, Christentum wie im Islam soll die Frau dem Mann auf besondere Weise dienen, er überhäuft sie im Gegenzug mit Lobpreisungen aller Art. Zugleich sorgt er dafür, dass er die Kontrolle behält. Glaubensfragen sind schließlich auch Machtfragen. Priester und damit Verwalter des Glaubens waren über die Jahrtausende nur Männer. Erst in moderneren Zeiten ist etwas Bewegung aufgekommen. Im evangelischen Christentum und in der jüdischen Gemeinde dürfen mittlerweile auch Frauen den geistlichen Beruf ausüben – orthodoxe Juden lehnen das allerdings ab. Der Islam und die Katholische Kirche verteidigen dieses „Fundament des Glaubens“ vehement.

Trotzdem stellt sich die Frage, ob die Gleichung Gottes Wort = Mannes Wort – als Jahrtausende alte Tradition verteidigt – Bestand haben wird. Gerade in der aktuellen Beschneidungsdebatte wird deutlich, dass die Überlieferung nicht so monolithisch ist, wie Verteidiger des Schnitts gerne behaupten. Michael Wolffsohn etwa hat detailliert belegt, dass die Beschneidung auch zu biblischen Zeiten höchst umstritten war. Gleichnisse wie „Beschneidet euch für den Herrn und entfernt die Vorhaut eures Herzens“ (Jeremias 4, 4) verweisen – so Wolffsohn – auf eine eher symbolische Bedeutung. Also bitte keine Fundamentalismen bei dem Thema – vielleicht hilft da kölsches Brauchtum weiter. Schließlich pflegt der Kölner zu sagen: „Et bliev nix wie et wor“.

Weitere Artikel zum Thema in unseren Partnermagazinen:
www.trailer-ruhr.de/eine-zweischneidige-debatte
www.engels-kultur.de/der-zipfel-des-wahnsinns

Wolfgang Hippe

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