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Plakatkünstler Renato Casaro machte ihn zum "Supertyp": Adriano Celentano
Foto: © Cecchi Gori / Skizze: © Renato Casaro ArtstudiO

Der Federnde

05. Oktober 2011

Enterte 1981 komischen Schrittes die deutschen Kinos: Adriano Celentano - Portrait 10/11

Ornella Muti steht im Regen. Das Wasser tropft ihr schon von der Hutkrempe, als die Tür des Hauses endlich aufgeht. „Darf ich reinkommen?“ Der Hausherr, ein mürrisch dreinblickender Junggeselle, kurz: „Warum?“ „Weil es in Strömen regnet!“ „Dann würde ich an Ihrer Stelle nach Hause gehen.“ Wie könnte es anders sein: Natürlich verlieben sich die beiden und werden ein Paar. „Der gezähmte Widerspenstige“ zieht im Herbst 1982 in Deutschland fast drei Millionen Zuschauer an – und löst damit endgültig die aus mal mehr, mal weniger gelungen konzipierten Liebeskomödien bestehende Celentano-Welle aus. Der Mann mit dem federnden Schritt und dem nach vorne gekämmten Resthaar bringt noch einmal Schwung ins europäische Komödienkino, bevor letzteres endgültig vor amerikanischen Blockbustern und Filmparodien wie „Police Academy“ und „Die nackte Kanone“ in die Knie geht. Von 1981 bis 1987 erreicht Adriano Celentano als mürrischer Sommerheld mit neunzehn neuen und wiederaufgeführten Filmen mehr als acht Millionen Zuschauer. Ein Kuriosum deutscher Kinogeschichte.

Der Junge von der Via Gluck
In der ärmlichen Mailänder Via Gluck 14 fängt alles an. Nur fünf Jahre geht der 1938 geborene Adriano Celentano zur Schule, dann beginnt er eine Ausbildung zum Uhrmacher. Früh entdeckt er die Musik, verehrt Bill Haley und Jerry Lewis, und meldet sich 1957 beim großen Rock’n Roll-Wettbewerb seiner Stadt an. Über Nacht wird der junge Mann im Eissportpalast Mailands zum Star. Mit Rock-Nummern erobert „Il Molleggiato“, der Federnde, ab Ende der fünfziger Jahre die Schallplattenläden, dann den Film und das Fernsehen, das ihn und seine wilden „Urlatori“-Kollegen, „Schreihälse“, wegen Gefährdung der Jugend eigentlich boykottieren wollte. Mit einer unverschämten Lässigkeit bringt er den Rock'n Roll nach Italien. Seiner Geburtsstätte widmet er den Song „Il ragazzo della via Gluck“, der neben Paolo Contes Komposition „Azzurro“ zur inoffiziellen italienischen Nationalhymne wird. Celentano ist frech, charmant und kann sich irrwitzig bewegen, er spricht in seinen Liedern zudem ökologische und soziale Themen an und schert sich nicht um die Konventionen der Alten. 1964 heiratet er seine Kollegin Claudia Mori, vier Jahre später gelingt ihm, nach etlichen Auftritten in „Musicarellos“, der italienischen Entsprechung zu den deutschsprachigen Schlagerkomödien eines Peter Kraus oder Peter Alexander, und der selbstinszenierten Krimiparodie „Der Superraub von Mailand“, ein phänomenaler Kinoerfolg. Pietro Germis satirische Dorfposse „Serafino, der Schürzenjäger“, verfasst mit Tullio Pinelli, Alfredo Giannetti, Leonardo Benvenuti und Piero De Bernardi, wird mit zehn Millionen Besuchern die Nummer Eins der Kinosaison 68/69 und schlägt selbst Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“. Der erste Farbfilm des großen Nachkriegsregisseurs Germi arbeitet sich ab Weihnachten 1968 ein Jahr lang durch fast sämtliche römischen Kinos und reist vom Moskauer Filmfestival, wo er im Juli 1969 den Hauptpreis abräumt, bis an die New Yorker Third Avenue, in fünf Pariser Startkinos und in die west- und ostdeutschen Filmkunsttheater. Für seine Darstellung des unerschütterlich optimistischen, offenen und pazifistischen Schafhirten bekommt Celentano den Globo d’oro als Entdeckung des Jahres verliehen und wird endgültig zur festen Größe im Filmgeschäft. 1972 spielt er in Alberto Lattuadas großem Melodram „Die Sünde“ neben Sophia Loren einen überzeugten Kommunisten, ausgerechnet mit Klumpfuß, und führt mit „Prisencolinensinainciusol“ den ersten europäischen Rapsong auf, eine als Liebesduett verkleidete, ironische Ode an die Kommunikationsunfähigkeit der modernen Zeit. Celentano, der mit einem Meter 78 gerne Schuhe mit Absätzen trägt, wird zum ersten Multimediaphänomen. Er ist locker, unkonventionell - und doch durch und durch Italiener. Er feiert in seinen Liedern, Fernsehshows und Filmen die Frauen, das einfache Leben, die Freundschaft, den lieben Gott. Und baut sich damit ein kleines Imperium auf. Ähnlich wie Frankreichs Superstar Jean-Paul Belmondo schart Celentano seit Beginn seiner Karriere einen festen Clan aus Verwandten und Freunden um sich, ohne den kein Auftritt, kein Album oder Projekt zustande kommt.

Er tanzte drei deutsche Kino-Sommer
Mit der poetischen Musicalkomödie „Yuppi Du“ entpuppt sich der italienische Superstar 1975, ganz im Sinne seines Vorbilds Jerry Lewis, als „Total Filmmaker“, der Drehbuchautor, Komponist, Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion ist. Die Geschichte des armen Venezianers Felice, der seine große, zunächst totgeglaubte Liebe an das süße Leben Mailands verliert, sorgt beim Filmfestival in Cannes und dann auch in einigen deutschen Kinos wie dem Münchner Sendlinger Tor und dem Hamburger Piccadilly für eine kleine Sensation. Mit kuriosen Bild- und Soundeffekten torpediert der Liebesfilm das graue Großstadtleben, die Marotten der Oberschicht und die Zerstörung der Natur. Obwohl Celentanos folgende Filme in Italien zuverlässig die Spitze der Kinocharts anführen, finden sie abseits von „Yuppi Du“ und „Bluff“ jedoch nicht mehr in die deutschen Kinos. Das ändert sich erst mit dem Episodenklamauk „Ein total versautes Wochenende“, der im Juli 1981 von Gerhard Schier mithilfe der unabhängigen Verleihbezirksagenturen C.H., Beka, Graf und Exquisit im Stil der „Flotte Teens“-Filme in die Kinocenter gedrückt wird. Im Januar 1982 bringt die Fernsehausstrahlung von „Hände wie Samt“ ob ihrer guten Quoten auch die Filmverleiher auf Ideen. Fünf Monate später schiebt Fred Sorg mit der deutschen United Artists „Gib dem Affen Zucker“ hinterher und insistiert darauf, dass Celentano und sein weiblicher Co-Star Ornella Muti in jeder Bewerbung, jeder Zeitungs- und Filmanzeige genannt werden. Die freundliche Liebesklamotte läuft zunächst mittelprächtig, bis Jürgen Wohlrabes Berliner Jugendfilm-Verleih mit dem günstigen Einkauf der ersten Celentano-Muti-Komödie „Der gezähmte Widerspenstige“ den richtigen Riecher hat – und den Überraschungserfolg des Jahres landet. Die schnoddrige Synchronisation, das ungleiche Schauspielergespann und Celentanos lustige Tänzeleien samt dem Ohrwurm „Step on Dynamite“ bringen den Film auf monatelange Laufzeiten – und holen auch „Gib dem Affen Zucker“ zurück in die Kinos. Maßgeblichen Anteil am Durchbruch hat der Plakatmaler Renato Casaro, der die unnachahmlichen Bewegungen sowie die Coolness Celentanos kongenial in einprägsamen Artworks zusammenfügt. Casaro gelingt, wovor jeder Standfotograf und spätere Photoshop-Bastler kapitulieren muss: Er fängt den mit der Liebe und den gesellschaftlichen Normen hadernden Komödianten „in the act“, samt mediterraner Stimmung, überlangen Beinen und ironischem Augenzwinkern. Casaros Artworks schaffen es bis in die Trailer und, im Falle von „Der Größte bin ich“ und „Joan Lui“, sogar bis in die fertigen Filme.
1983 stehen dann sage und schreibe insgesamt fünfzehn Filme mit Celentano auf den Spielplänen der bundesrepublikanischen Kinos, davon sieben Wiedereinsätze und acht Erstaufführungen. Einige Werke sind bis zu fünfzehn Jahre alt, andere typisch italienische Episodenfilme, die rigoros gekürzt werden, um als reiner Celentano-Film durchzugehen. Die vor allem von ihren kurzen, meist völlig unvermittelt einsetzenden Tanzeinlagen lebenden Komödien loben die Liebe und funktionieren vor allem im Sommer, wenn die Deutschen eigentlich Kinomuffel sind. Der von den Kritikern verschmähte Celentano bringt mithilfe erfindungsreicher, schnell arbeitender Regisseure wie Castellano und Pipolo und Pasquale Festa Campanile etwas von der ewigen Sehnsucht nach Italien in die deutschen Großstädte und Kinocenter. Als einfacher Arbeiter, Bauer oder Pfarrer, mit wenig Text, gleichgültigem Gesicht, weit aufgeknöpftem Serafino-Hemd und langen Schritten begegnet er der Hitze, den Frauen, der Zivilisation. Der Trick, im emotionalen Medium Kino eben keine Emotionen zu zeigen, erinnert an Stummfilmstar Buster Keaton, nur eben mit Sonnenbrille und Popmusik. Zum wichtigsten Autor Celentanos wird am Ende Enrico Oldoini, der nach mehreren Drehbüchern bei „Der Größte bin ich“ Regie führt - und kurz vor Celentanos „Joan Lui“-Debakel bilanziert: „Celentano ist nicht nur ein lustiger Typ mit einem federnden Gang. Er ist viel mehr. Er ist, lassen Sie mich das ein für alle Mal sagen, ein Geschöpf mit großem Charme. Vielleicht der einzige faszinierende Schauspieler in Italien. Und Charme ist im Kino keine Kleinigkeit. Im Gegenteil.“
Im Zoom-Magazin erklärt Georg Seeßlen 1983 den Erfolg von „Adriano Celentano als Kino-Figur“ mit der Naivität und Menschenfreundlichkeit der Filme: In all ihrer Unbedarftheit seien „die Celentano-Filme auch eine Erinnerung daran, was das Kino einmal war: eine volkstümliche Vergnügung, die Gemeinschaft eher förderte als zerstörte, ein Spiel mit der Wirklichkeit mit einer einfachen, verlässlichen Moral.“ Obwohl seine größten Hits, speziell die von Castellano & Pipolo und Sergio Corbucci, Dutzend-Ware seien, hätten sie dank unvermittelter Tanzbewegungen und phantastischer Ideen ihre „großen Momente“. 

Anti-Berlusconi
Jugendfilm-Chef Wohlrabe lizensiert alle weiteren Celentano-Produktionen und steigt als Co-Produzent übermütig bei „Joan Lui“ ein, der allerdings bitter floppt und Celentanos Filmkarriere quasi über Nacht beendet. Der Star ist über die Niederlage seines brutal gekürzten Rock-Musicals mit sozialer Botschaft so enttäuscht, dass er für Mario und Vittorio Cecchi Gori nur noch die vertraglich zugesicherte Krimikomödie „Der Brummbär“ abdreht. Ein Comeback-Versuch mit der aufwändigen Satire „Jackpot“ scheitert Ende 1992 noch einmal spektakulär. Celentano widmet sich schulterzuckend wieder seinen aufsehenerregenden Polit-Shows und der Musik, und legt mit „Il re degli ignoranti“, „Arrivano gli uomini“ und „Mina Celentano“ in den neunziger Jahren drei engagierte und mit originellen Popklängen überzeugende Alben vor.
Ähnlich wie Belmondo erlebt auch Celentano nach der Jahrtausendwende einen zweiten Frühling. Er ist gefragter denn je, tritt für die Rechte der Tiere ein, wird zu unzähligen Gastauftritten gebeten und präsentiert 2008 bei den Filmfestspielen von Venedig höchst lässig noch einmal sein verkanntes, mit neuer Musik und Filmclips modernisiertes Meisterwerk „Yuppi Du“. Dazu schaltet er sich als erbitterter Berlusconi-Feind in TV-Shows und Diskussionsrunden ein. „Celentano versteckt seine politische Meinung nicht“, bestätigt Katharina Kort, langjährige Italien-Kennerin und Mailänder Korrespondentin des Handelsblatts. Kort ist allerdings skeptisch, was Celentanos Wirkung angeht: „In Italien sind die politischen Lager so stark in pro und kontra-Berlusconi aufgeteilt, dass sie sich kaum gegenseitig zuhören. Celentano ist klar als links abgestempelt und wird daher von Berlusconi-Fans ohnehin kaum Gehör finden.“ Bittere Pointe des Ganzen: die Mehrzahl von Celentanos Filmen wird 2010, nach der Verhaftung Vittorio Cecchi Goris - Papa Mario starb bereits 1993 - an Berlusconis Mediaset-Imperium verscherbelt.
Mittlerweile kann man sich in Celentanos Geburtsstraße täglich ab 14 Uhr ins Filmplakatmuseum Fermo Immagine setzen, das ihm das „caffè degli ignoranti“ mit Plakaten der Illustratoren Casaro, Sandro Symeoni und Averardo Ciriello, diversen Plattencovern und Liedtexten sowie einer übergroßen, als Tür dienenden „Yuppi Du“-Statue Gianni Zaninis gewidmet hat.
Während man dort in seinem Kaffee rührt, erscheinen einem unwilkürlich die unsterblichen Namen des italienischen Kinos. Wie Celentano verabscheute auch Fellinis genialer Drehbuchautor Ennio Flaiano die Korruption, den Rationalismus und Konsumismus der Moderne. Die Liebe, schrieb Flaiano in seinen „Blättern von der Via Veneto“ einmal wütend, sei im Gegensatz zum Broterwerb zum Experiment verkommen: „Wir leben, um auf den Sommer zu warten. Wie die Bademeister.“ Am Anfang von „Serafino“, nach dem abrupten Ende des schwarzweißen Vorspanns mit hektisch montierten Großstadt- und Autoszenen, sitzt Celentano auf einer wunderbar bunten Bergwiese bei Arquata del Tronto und singt laut: „Schön ist die Liebe...“ Keine Frage, hier und in seinem Herzen ist immer Sommer.

Filmografie:

1992: Jackpot

1986: Der Brummbär
1985: Joan Lui - Eines Tages werde ich kommen und es wird Montag sein
1985: Der Größte bin ich
1983: Besonderes Kennzeichen: Bellissimo
1983: Sing Sing
1982: Bingo Bongo
1982: Wer hat dem Affen den Zucker geklaut?
1981: Gib dem Affen Zucker
1981: Asso
1980: Der gezähmte Widerspenstige
1980: Mirandolina
1980: Don Tango - Hochwürden mit der kessen Sohle

1979: Der Millionenfinger / Hände wie Samt
1979: Ein total versautes Wochenende
1978: Geppo il folle
1978: Onkel Addi
1977: Der Supertyp
1977: Hilfe, sie liebt mich!
1976: Lunatics and Lovers / Der unzähmbare Supertyp
1976: Bluff / Zwei tolle Wanzen kochen ab / Zwei Profis schlagen zu
1975: Di che segno sei?
1975: Yuppi Du
1973: Der Kleine mit dem großen Tick / Ein Knallkopf in der Unterwelt
1973: Hilfe, ich bin Spitz...e / Rugantino
1973: Die Halunken
1972: Die Sünde
1971: Großer, lass die Fetzen fliegen! / König der Ganoven

1968: Serafino, der Schürzenjäger / Adriano, der Schürzenjäger
1967: La pìu bella coppia del mondo
1966: Lass die Finger von der Puppe
1964: Der Superraub von Mailand
1963: Il monaco di Monza
1963: Malamondo
1963: Ein seltsamer Typ
1962: Canzoni di ieri, canzoni di oggi, canzoni di domani
1962: Twist, dass die Röcke fliegen!
1961: Io bacio... tu baci
1960: Urlatori alla sbarra
1960: Das süße Leben
1960: Sanremo, la grande sfida

1959: Juke box, urli d'amore
1959: I ragazzi del juke box
1959: Go, Johnny, Go!
1958: Außer Rand und Band 2. Teil

Rüdiger Schmidt-Sodingen

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