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Foto: Klaus Dilger

Der Tanz mit der Leber

15. Januar 2014

bodytalk verwandelt das Tanztheater in ein Labor der Künste – Tanz in NRW 01/14

Sie tanzen im Kreis mit goldfarbenen Glockenröcken wie Volkstanzgruppen. Sie verhüllen ihre Häupter wie muslimische Frauen, so dass man nichts von ihren Körpern außer ihren nackten Brüsten sehen kann. Sie lassen die Männer auf hohen Hacken wie Frauen stolzieren oder demonstrieren, wie ein Mann nach der Peitsche einer Frau tanzt. Bodytalk provoziert und fordert Männer und Frauen zur Stellungnahme heraus.

Der Tanzboden als Schlachtfeld, auf dem der Kampf zwischen Männern und Frauen mit Ironie und Gewalt bis zur völligen Erschöpfung ausgetragen wird, so präsentiert die Kölner Tanzkompanie bodytalk ihre neue Produktion „Frauen – Bewegung“. Obwohl der Titel an ein Eurythmie-Workshop erinnern könnte, verbergen sich in diesem 90-minütigen Spektakel, das in der Tanzhalle von Barnes Crossing zu sehen war, Kernfragen der Tanzkunst. Die Bedeutung des Ausdruckstanzes wird unter die Lupe genommen und folgerichtig die Grenze körperlicher Darstellbarkeit ausgetestet. In den zwanziger Jahren schon war der Übergang vom expressiven Tanz zur Nacktheit ein Thema, an dem sich das Verhältnis zum Körper und das Selbstverständnis einer Epoche ablesen ließ. Bodytalk hat sich mit der Choreographin Vera Skoronel beschäftigt, die eine unter zahlreichen Frauen jener Jahre war, die neue Wege einschlugen. Aber die Produktion wirbelt nicht nur Geschlechterdiskurse auf, sondern hat auch stets die Konventionen der Kommerzialisierung im Blick. Eine Kosmetik aus Sperma wird angepriesen und die Überlegung angestellt, ob Männer nicht glücklich sind, wenn ihre Frauen schön sein dürfen.

Die Choreographie mündet in Theatersituationen und nimmt immer wieder die Züge einer Performance an. Höhepunkt ist der Tanz mit einer riesigen Leber zu den Klängen der Walzermelodien von Stanley Kubricks Thriller „Eyes wide shut“. Das Reale wird ins Bild gesetzt, ein Kunststück, das selten gelingt. Metaphern und Gesten der üblichen Tanzklischees werden auf die blanke Körperlichkeit zurückgeführt oder auf den Kopf gestellt, wenn die Männer etwa den Bewegungskanon der Frauen annehmen und mit erhobenem Hinterteil auf allen vieren über die Bühne staksen. Das sieht witzig, zynisch und atemberaubend mutig aus, denn bodytalk traut sich dort weiter zu experimentieren, wo andere Kompanien die Segel streichen. Wenn die acht Akteure (Anna Lindblom, Charlie Fouchier, Helge Tramsen, Lynn Suemitsu, Mack Kubicki, Nathalie Larquet, Sylvana Seddig und Victoria Primus) miteinander tanzen, aufeinander einschlagen oder gegeneinander singen, dann verwandelt sich die Bühne in einen Erkenntnisraum.

Das Theater wird zu einem Labor, in dem das Verbotene gedacht und getan wird. Das ist intim und verstörend und geht im wahrsten Sinne des Wortes unter die Haut, deshalb bindet dieser riskante Performance-Ansatz das Publikum aber auch an das Geschehen auf der Bühne. Wer zuschaut sitzt mit im Boot. Stellenweise schleudert die Inszenierung dramaturgisch und ästhetisch aus der Form, manchmal gerät die Provokation in ein Vakuum, in dem der Protest in Ohnmacht umschlägt. Dann hilft auch der Schrei nicht mehr, sondern offenbart einen Moment der Ratlosigkeit. Aber sobald ein Sujet gefunden ist, verwandelt sich die Wildheit wieder in Wucht.

Das spielerische Konzept von Yoshiko Waki und Rolf Baumgart enthält eben auch Freiräume, die mitunter elektrisierend genutzt werden, wenn ein Gedanke auf der Bühne konsequent in Aktion umgesetzt wird. Nicht immer gelingt das, aber das Aufbrechen ästhetischer Formen ist auch nicht komplett unter die Kontrolle eines Gestaltungswillens zu bringen, sonst würden wir ja auch als Publikum an diesem Experiment nicht den Atem seiner erotischen Vitalität spüren können. bodytalk arbeitet in Koproduktion mit dem Pumpenhaus in Münster und nach der Station in Köln geht es nach Berlin. Eine Truppe mit Potenzial, die der Tanzszene in NRW eine eigene, unverwechselbare Farbe schenkt. Vor allem jedoch zeigt bodytalk, wie das Tanztheater als Zentrum der darstellenden Künste genutzt werden kann.

Thomas Linden

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