choices: Herr Popp, wie gut sind wir in unseren Wohungen vor Lärm geschützt?
Christian Popp: Das kommt ganz darauf an, wie viel Geld für die Häuser ausgegeben wurde. In der Regel sind die Gebäude sehr gut gegen Lärm geschützt – auch gegen Trittschall. D.h., Sie können den Nachbarn nicht hören, während er über Ihnen im Mehrfamilienhaus hin und her geht und telefoniert. Hören Sie es doch, ist es ein Zeichen für schlechten Trittschall.
Welche Räume sollten gegen Lärm besonders geschützt oder davon abgewandt sein?
Im Wesentlichen müsste man den Fokus auf Kinderzimmer und Schlafräume legen und diese Räume auf der lärmabgewandten Seite des Hauses planen, um sie vor Geräuschen abzuschirmen. Der Wechsel auf diese Seite erleichtert auch das Schlafen bei gekipptem Fenster. Über 80 Prozent der Deutschen wollen das gerne nutzen – zumindest in Zeiten in denen es nicht friert. Diese Frischluftzufuhr ist extrem wichtig für die Schlafhygiene und auch gut für die Schleimhäute.
„Sind Sie Tag und Nacht hohen Pegeln ausgesetzt, wird es schwierig“
Welche gesundheitlichen Folgen kann Lärm haben?
Lärm hat keine direkten Folgen wie ein Schnitt mit dem Messer in den Finger, sondern er ist sehr langfristig in seiner Wirkung. D.h., wenn Sie in einer sehr lauten Umgebung wohnen: das Fenster nicht öffnen können, wenn sie schlafen, den Fernseher aufgrund des Geräuschpegels lauter stellen müssen, an so einer Straße den Balkon oder die Terrasse nicht nutzen können oder wenn Sie auf die Straße treten, sofort die Kommunikation unterbrechen müssen, weil die Umgebung Sie übertönt, dann ärgert Sie das. Dieser Ärger führt zu Bluthochdruck. In Extremfällen kann dieser auch zu Herzinfarkt führen. Ein eindeutig gesundheitsgefährdendes Potenzial, was dahintersteckt.
Werden diese Zusammenhänge gewöhnlich erkannt?
Wenn Sie jetzt vier Wochen in so einer Umgebung wohnen, dann können Sie sich in dieser Zeit gerne ein bisschen aufregen. Sie wissen womöglich, dass es danach wieder ruhig ist, zum Beispiel im Falle einer Baustelle. Aber, sind Sie Tag und Nacht hohen Pegeln ausgesetzt und haben die Hoffnung verloren, dass Sie sich dem irgendwann entziehen können, dann wird es schwierig. Hoch lärmbelastete Wohnstandorte sind nicht die teuersten. Wenn Sie aus so einer Situation heraus wollen, dann müssen Sie für eine ruhige Gegend automatisch mehr Miete zahlen. Gehört Ihnen das Haus, wird es noch anstrengender: Denn mit dem Verkauf des Gebäudes können Sie kein gleichwertiges Gebäude in einer ruhigeren Lage oder mit neuerer Ausstattung kaufen. D.h., Sie fühlen sich gefangen und das erhöht den Druck noch zusätzlich.
„Für viele war es ein Schock, so viel von den Nachbarn mitzubekommen“
Ich habe von Menschen gelesen, die in der Pandemie die Ruhe an zuvor verkehrsintensiven Straßen zu schätzen gelernt haben. Jetzt stört Sie der wieder ansteigende Lärm.
Das kann man nur so erklären: Berufstätige, die während der Lockdown-Phasen im Home-Office waren, haben wahrscheinlich erst dann realisiert, was tagsüber bei ihnen zu Hause los ist. Ich bin auch gerade bewusst von meiner Terrasse rein gegangen, obwohl es draußen schön und warm ist, weil nebenan überall die Rasenmäher gestartet wurden. Das nehmen Sie deutlich mehr wahr, wenn Sie zuhause sind. Und so ist es auch mit dem Verkehr.
Sie meinen, man hat sein Wohnumfeld deutlicher gescannt?
Genau. Seit Corona hatten wir sehr viel mehr Beschwerden über Nachbarn als davor. Das ist mein Eindruck, mit über 40 Jahren Berufserfahrung in der Lärmbekämpfung. Für viele war es ein Schock, so viel von den Nachbarn mitzubekommen. Wir raten unseren Klienten in der Regel erst einmal, miteinander zu reden, bevor sie ihre Rechtsanwälte aufeinanderhetzen. Das hilft auch. Es sei denn, die Verhältnisse sind sowieso schon so verhärtet, dass es weder vor noch zurück geht.
„Vögel müssen lauter werden, um in irgendeiner Form zu kommunizieren“
Auch Wildtiere haben sich den Städten genähert, etwa Rehe, Füchse oder Wildschweine. Lag das auch am geringeren Lärmaufkommen?
Nein, das glaube ich nicht. Ich wohne südlich von Hamburg auf dem Land. Die Tiere kommen hier einfach und gehen bis in die Häuser hinein. Ihnen fehlt jegliche Zivilisationsangst. Bei uns in der Garage stand Vogelfutter, das sie gefressen haben. Sie wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen Menschen, die ein Gewehr tragen und Menschen, die das nicht tun. Das hat gar nichts mit Lärm zu tun. Bei Vögeln trifft das zu, sie haben sich umgestellt: Wenn es wirklich leiser wird, dann kommunizieren sie auch leiser. In den Städten, in denen die Grundbelastung hoch ist, müssen sie lauter werden als auf dem Land, um in irgendeiner Form kommunizieren zu können.
„Das deutsche Lärmrecht ist zu fragmentiert“
Lärm wird bislang kaum zusammengedacht, Lärmquellen werden weitgehend unabhängig voneinander untersucht, etwa Straße oder Eisenbahn. Welche Folgen hat das?
Es ist falsch, es so zu machen. Verschiedene Initiativen politischer Art, aber auch von Betroffenen, sagen: „Mich interessiert nicht, wer für welche Quelle verantwortlich ist, wenn fünf Quellen gleichzeitig auf mich einwirken“. Leider ist das deutsche Lärmrecht noch zu fragmentiert.
Unter dem Gesichtspunkt Gesundheitsschutz würde ich zuallererst Straße und Schiene gemeinsam denken. Die Oppositionen der letzten Jahrzehnte sind auch immer so weit gekommen, sich für eine Gesamtlärmbetrachtung in diesem Sinne auszusprechen. Doch dabei ist es leider geblieben. Sowie sie die Regierungsverantwortung hatten, haben sie das Thema vergessen.
Was müsste sich ändern?
Die Verkehrsminister der Länder und des Bundes – versammelt in der Verkehrsministerkonferenz – haben im Frühjahr letzten Jahres ein Lärmschutzpaket beschlossen. Darin steht auch: Wenn eine Straße oder ein Schienenweg neu gebaut wird, muss die vorhandene Belastung mit einbezogen werden. Es muss geprüft werden, ob dieser Neubau bestimmte Grenzwerte überschreitet oder die Änderung zu deutlichen Pegelerhöhungen führt. In der Konsequenz muss Schallschutz betrieben werden. Sie aber nur auf Baumaßnahmen zu beschränken, ist natürlich viel zu wenig. Wir haben 650.000 Kilometer Straße in Deutschland. Wenn jedes Jahr auch nur 50, 100 oder 1000 davon neu gebaut werden, nehmen die vorhandenen Belastungen, gerade in den Städten, dadurch ja nicht ab. Auch bei bestehenden Straßen, an denen ich baulich nichts verändert habe, muss geschaut werden, wie die Lärmbelastung gemindert werden kann. Das sollte für alle Straßen gelten, nicht nur für die, die der Bund zu verantworten hat, sondern auch für die der Länder, der Kommunen und Kreise.
„Aus Freiwilligkeit muss eine Verpflichtung werden“
Aber Bestandsanlagen werden nicht mehr überprüft, nur das, was neu hinzu kommt, oder?
Ja. Für die bestehenden Anlagen gibt es auf Bundesebene nur die freiwilligen Lärmschutzprogramme des Bundes für seine Straßen und Schienenwege. Das betrifft aber nur einen Bruchteil der Straßen hierzulande. Aus dieser Freiwilligkeit muss eine Verpflichtung werden, sonst kommen wir da nie weiter in Deutschland. Soll heißen: Reifen würden nach wie vor für schnelle Autos gebaut, die hohe Geschwindigkeiten aushalten. Jeder Polo oder jeder Up hat heute Reifen drauf, die 200 und mehr Stundenkilometer aushalten, ohne dass sie kaputt gehen. Sie sind laut, weil sie hart sind und hart sein müssen.
„Geschwindigkeitsbeschränkung auf Autobahnen muss kommen“
Wegen der Geschwindigkeit, die sie erreichen sollen …
Genau. Für mich muss die Geschwindigkeitsbeschränkung auf deutschen Autobahnen kommen, weil dann andere Autos gebaut werden. Wenn ich 130 als Höchstgeschwindigkeit einrichte, genügt es, wenn die Autos im Notfall 150 fahren können. Dann kann ich sie abregeln. Ich hätte leisere Autos, die auch weniger wiegen, weil ich weniger Sicherheitsfeatures brauche und die Autobahn ließe sich völlig anders trassieren. Bei einer Geschwindigkeit von 250 benötigt eine relativ kleine Lenkbewegung recht breite Fahrstreifen. Bei einer Höchstgeschwindigkeit von 130 könnten sie – und damit die gesamte Fahrbahn – deutlich schmaler werden. Nebenbei bemerkt: Wir sind das letzte Land weltweit, in dem keine Geschwindigkeitsbeschränkungen sind. Leider haben die Grünen sich die 130 in den jüngsten Koalitionsverhandlungen ‚abkaufen’ lassen.
Wie sieht es mit der Europäischen Richtlinie zu Umgebungslärm aus? Wird sie ausreichend umgesetzt?
Die Umgebungslärm-Richtlinie hat einen Konstruktionsfehler. Ich muss darin Straßen mit mehr als 8000 Fahrzeugen am Tag berücksichtigen. Das klingt nicht nach viel. In einer engen Stadt, in der Häuser dicht an dicht stehen, haben Sie Mehrfach-Reflexionen. Kommt dann noch Pflasterstraße hinzu, sind bereits 1000 oder weniger Fahrzeuge so laut wie diese 8000 an einer Strecke mit Einfamilienhaus im etwas größeren Abstand. Für die Umgebungslärm-Richtlinie müssen die Kommunen alle fünf Jahre obligatorisch Lärmkarten machen und auch einen Lärmaktionsplan erstellen, an dem die Bevölkerung mitwirken muss. Aus den Lärmkarten kann ich entnehmen, wo es besonders laut ist, nämlich genau da, wo das Straßennetz von rot über blau geht. Mit dem Aktionsplan werden dann Maßnahmen zur Minderung der Lärmbelastung vorgeschlagen.
„Die in kleineren Gemeinden lebenden Menschen sind fast rechtlos Staßenlärm ausgesetzt“
Worin liegt das Problem?
Es gibt keine Verpflichtung der Umsetzung von Maßnahmen, ganz im Gegenteil. Nachdem ein Lärmaktionsplan vom Stadtrat beschlossen wurde, etwa mit Ideen wie Tempo 30, engeren Fahr- und separaten Radstreifen bleibt es in der Regel dabei. Das ist das eigentliche Drama und führt dazu, dass nur in Kommunen, die hoch engagiert sind, tatsächlich etwas geschieht. Viele Menschen in Deutschland wohnen in Städten. Städte können die Lärmaktionsplanung in der Regel aber nur dann maßgeblich beeinflussen und auch umsetzen, wenn sie mehr als 80.000 Einwohner haben. Damit sind sie für alle Straßen, - Bundes-, Landes-, Kreis- und Gemeindestraßen, außer für Autobahnen selbst verantwortlich. Die in kleineren Gemeinden lebenden Menschen sind also fast rechtlos dem Lärm von bestehenden Straßen ausgesetzt, und genau das muss sich schnellstmöglich ändern.
Gibt es ein Recht auf Ruhe?
Wenn man Ruhe mit Gesundheitsschutz gleichsetzt, dann ja. Wenn man aber das über die deutsche Gesetzeslandschaft verteilte Recht auf Schutz vor Lärm ansieht, dann nicht wirklich.
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