Manchmal hängt die Wolkendecke so tief, dass die Leute gebeugt gehen müssen. An einem solchen Morgen trug ich einst meinen Kopf durch Kreuzberg. Die Nächte dort sind lang und im Herbst werden sie sogar noch länger. Die Bürgersteige waren eine Hügellandschaft, überall mannshohe Hundehaufen, die ich missmutig umrundete. Auf einem der Gipfel entdeckte ich dabei eine holländische Wandergruppe beim Picknick. Und als ich mich grade darüber wundern wollte, näherte sich unerwartet durch einen Tunnel in einem der Berge ein schlafwandelnder Weinkellner. „Der September ist ein Sommermonat“, sagte der somnambule Sommelier. „Ruf nicht nach dem Herbst, sonst kommt er noch! Bedenke meine Worte: Es ist noch Hochsommer!“
Dann traf ihn eine faustgroße Schneeflocke am Kopf. Er ging zu Boden, wurde aber nach wenigen Momenten von zwei Pinguinen aufgehoben und in eine Höhle gebracht. Einer der Pinguine hat mir so seltsam zugezwinkert, das hat mir den Klimawandel auch nicht grade weniger unheimlich gemacht.
Bier und Ta-Back
Aber ich hatte keine Zeit, darüber zu grübeln, ich setzte meinen Weg fort, denn ich war natürlich nicht ohne Mission unterwegs. Ich hatte Brötchen zu holen. Und so betrat ich schon kurz darauf die Bäckerei mit dem schönen Namen „Bier und Ta-Back“.
In der Auslage fand ich ein Schild auf dem stand: „Auf Wunsch werden auch belegte Brötchen nachgemacht.“ Da sah ich die Bäckereifachfrau mit dem Vollbart sehr gründlich an und sprach: „Machen sie mir doch mal ein Salamibrötchen nach.“ Sie jedoch sah mich an, als wolle sie gleich Mike Tyson nachmachen, der Evander Holyfield das Ohr abbeißt. „Käsebrötchen?“ hakte ich nach. Sie hob langsam den rechten Arm und zeigte mit spitzem Finger auf die Tür. Ich senkte meinen Kopf und murmelte beim Verlassen des brotigen Etablissements Verwünschungen vor mich hin.
Lass uns über das Wetter schweigen
Doch welch Wendungen hat das Schicksal manchmal für uns parat! Als ich auf die Straße trat, hatte sich die Wolkendecke verzogen und von stahlblauem Himmel ballerte die Sonne herab wie eine Frustabwehrkanone. Ich schöpfte ein gerüttelt Scheffel frischen Mut und wollte grade weiter ziehen, als vor meinen Füßen zwei geschmolzene Pinguine vorbeiflossen. Sie sickerten wirbelnd in einen nahegelegenen Gulli. Es ist eine Unverschämtheit der Schöpfung, dass die Welt dem Klima ausgesetzt ist, dachte ich. Ich komme doch auch ohne Wetter aus.
Mein Blick fiel auf die Berglandschaft aus Hundekot, von der eine holländische Wandergruppe fluchend herabeilte. „Potverdikkie! Alles pet! Rotzooi, verdomme! De bergen smelten!“ Einen Moment lang dachte ich noch „Klar smellen die Berge, die sind aus Hundekacke“, aber dann wurde mir klar, dass „smelen“ in Wirklichkeit „schmelzen“ heißt. Und mir fiel eine Schlagzeile ein, die ich mal in der BILD-Zeitung gesehen hatte:
„Eine Durchfallwelle schwappt durch Deutschland.“
So ist das mit dem Sommer und dem Herbst. Am besten, man hält stets Fenster und Türen geschlossen.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Eine Ode an Slamjamin
Jubiläums-Ausgabe von „Reim in Flammen“ – Bühne 11/18
Begleiterscheinungen der Melancholie
Der Kölner Comedy-Einzelgänger Alexander Bach – Bühne 04/18
Die Tradition der Rebellion
Büchner-Presiträger Jan Wagner im Literaturhaus – Literatur 11/17
Kultur im Wandel
Podiumsdiskussion anlässlich 20 Jahren Kulturrat NRW – Spezial 12/16
Wenn das Lachen verstummt
„The word is not enough“-Poetry Slam am 15.11. im Blue Shell in Köln
Die Schlacht der Wörter
10-jähriges Jubiläum von „Reim in Flammen“ in Köln – Bühne 10/15
Reden ist Silber und Geigen aus Holz
Der „Slam ohne Grenzen“ feiert im Limes seinen zweiten Geburtstag
Rhein-Battle
Poetry Slam „Reim in Flammen“ im Millowitsch Theater am 1.8.
Klappe halten, wenn der Poet spricht
Poetry-Slam „The Word is not enough“ im Blue Shell am 20.7.
Pilze für die Leiste
Sebastian23 zählt an: Dreiundzwanzig – die Video-Kolumne - Poetry 08/12
Die Kindheit ist kompostierbar
Sebastian23 zählt an: Zweiundzwanzig – die Video-Kolumne - Poetry 07/12
Rindfleisch ist die Dummheit der Seifenblase
Sebastian23 zählt an: Einundzwanzig – die Video-Kolumne – Poetry 06/12
ABC-Architektur
„Buchstabenhausen“ von Jonas Tjäder und Maja Knochenhauer – Vorlesung 11/24
Übergänge leicht gemacht
„Tschüss und Kuss“ von Barbara Weber-Eisenmann – Vorlesung 11/24
Auch Frauen können Helden sein
„Die Frauen jenseits des Flusses“ von Kristin Hannah – Literatur 11/24
Comics über Comics
Originelle neue Graphic Novels – ComicKultur 11/24
Die zärtlichen Geister
„Wir Gespenster“ von Michael Kumpfmüller – Textwelten 11/24
Nachricht aus der Zukunft
„Deadline für den Journalismus?“ von Frank Überall – Literatur 10/24
Zurück zum Ursprung
„Indigene Menschen aus Nordamerika erzählen“ von Eldon Yellowhorn und Kathy Lowinger – Vorlesung 10/24
Eine Puppe auf Weltreise
„Post von Püppi – Eine Begegnung mit Franz Kafka“ von Bernadette Watts – Vorlesung 10/24
„Keine Angst vor einem Förderantrag!“
Gründungsmitglied André Patten über das zehnjährige Bestehen des Kölner Literaturvereins Land in Sicht – Interview 10/24
Risse in der Lüneburger Heide
„Von Norden rollt ein Donner“ von Markus Thielemann – Literatur 10/24
Krawall und Remmidemmi
Begehren und Aufbegehren im Comic – ComicKultur 10/24
Förderung von Sprechfreude
„Das kleine Häwas“ von Saskia Niechzial, Patricia Pomnitz und Marielle Rusche – Vorlesung 10/24
Frauen gegen Frauen
Maria Pourchets Roman „Alle außer dir“ – Textwelten 10/24