40 Jahre ist es her, dass Wakefield Pooles „Boys in the Sand“ im New Yorker 55th Street Playhouse Theater anlief und das Kino revolutionierte. Der für knapp 8000 Dollar gedrehte, erste abendfüllende Schwulenporno mit Casey Donovan fuhr schon am ersten Tag, dem 29.12.1971, seine Produktionskosten ein und machte den Weg frei für die hetero- und homosexuelle Pornowelle, den sogenannten Porn Chic der siebziger Jahre. Wakefield Poole, ein Balletttänzer und Choreograf, sah seinen Film über ein paar Jungs, die sich am Strand und Pool mit anderen Männern vergnügen, als längst überfällige, positive Bebilderung natürlichen, homosexuellen Lebens. Nicht nur in den XXX-Theatern der Großstädte spielten homosexuelle Inhalte plötzlich eine Rolle. Vor allem das Exploitationkino nahm sich immer deutlicher schwuler und lesbischer Lebensentwürfe an. Neben Andy Warhols homoerotischen Fabrik-Filmen mit Joe Dallesandro spielten auch Blaxploitationkrimis wie „Together Brothers“ und Cheerleaderkomödien der Marke „The Teenies – Ein College dreht durch“ mit der Möglichkeit, sexuelle Erfüllung unter seinesgleichen zu finden.
Nach dem Ende der Porno- und Grindhousetheater kam die Homoerotik in den Spätschienen der Arthouse- und Programmkinos unter, wobei hierzulande vor allem die Spielfilme von Stephen Frears sowie die Undergroundwerke eines Bruce Weber und Bruce LaBruce das Publikum begeisterten. Bei den Frauen waren es „Desert Hearts“, „Better Than Chocolate“, „Thelma & Louise“ und „Bound“, die sich mit großen Schritten Richtung Mainstream bewegten. In den letzten Jahren zählten „Weil ich ein Mädchen bin“, „Brokeback Mountain“ und „The Kids Are All Right“ zu den einflussreichsten Mainstream-Filmen mit homosexuellem Inhalt, viele kleinere Dokumentationen und Independentkomödien kamen aber unter die Räder und waren nur einmalig auf Events wie dem Köln-Dortmunder Frauenfilmfestival oder dem „Verzaubert“-Festival zu sehen.
Seit 2009 kramt die Reihe homochrom in Köln, Bochum, Dortmund, Düsseldorf und Oberhausen jeden Monat zu einem festen Termin neue schwule und lesbische Filme aus aller Welt aus – und schließt damit an eine nicht zu unterschätzende Programmkino-Tradition der achtziger Jahre an. Für Ende Oktober hat sich homochrom-Chef Martin Wolkner nun ein eigenes Festival vorgenommen, das erst in Köln im Filmforum, dann in Dortmund in der Schauburg zu sehen ist. Mit einer Europapremiere, mehreren Deutschlandpremieren und zahlreichen internationalen Gästen bietet das Fest an drei Tagen eine geballte Ladung schwullesbischer Filme, wobei als Trend auszumachen ist, dass die FilmemacherInnen das Praktizieren von Homosexualität weniger stark ausstellen als in den achtziger und neunziger Jahren. Statt Sex- und Partyszenen konzentrieren sich die Filme auf genaue Typenzeichnung, emotionale Tiefe und eine Öffnung zu anderen Menschen und Milieus – Qualitäten, von denen das auf billige Kalauer getrimmte nationale wie internationale Mainstreamkino derzeit nur träumen kann. Exemplarisch ist das in „Three Veils“, über drei junge Frauen aus dem Mittleren Osten, und „Herbstgefühle“, über die große, Jahrzehnte andauernde Liebe zweier Freundinnen, zu erleben. Und während das deutsche Kino zwischen Kiesauffahrt vorm Haus und Dildo im Kleiderschrank die piefige, asexuelle Erwerbs-Partnerschaft feiert, führt Israel Lunas wilde „Priscilla meets Coffy“-Variante „Ticked-Off Trannies with Knives“ zurück zum solidarischen, glor- wie lehrreichen Exploitationkino der Siebziger. Den ersten Bollywood-Kuss zwischen zwei Männern gibt es, 19 Jahre nach seinem US-Äquivalent in Arthur Hillers „Making Love“, in „Dunno Y“ zu sehen – und dass die Hauptdarsteller Kapil Sharma und Yuvraaj Parashar live in Köln dabei sind, ist schlichtweg eine Sensation.
1. homochrom-Fest in Köln und Dortmund | Köln: 21.-23.10. | Filmforum NRW im Museum Ludwig, Bischofsgartenstr. 1, Köln | Karten an der Abendkasse oder über www.homochrom.de
Das Programm in Köln
Freitag, 21.10.:
20 Uhr: 2 Frogs in the West (OmU, Eröffnungsfilm, Deutschlandpremiere)
22.30 Uhr: Lange Kurzfilmnacht (OV)
Samstag, 22.10.:
17 Uhr: We Were Here (OmU)
18.45 Uhr: Jamie and Jessie Are Not Together (OmU)
20.30 Uhr: Three Veils (OmU, in Anwesenheit von Darstellerin Angela Zahra, Deutschlandpremiere)
23.15 Uhr: Ticked-Off Trannies with Knives (OV, Europapremiere)
Sonntag, 23.10.:
11 Uhr: Herbstgefühle (OmU)
13 Uhr: I Am (OmU)
14.20 Uhr: Dunno Y na jaane kyun (OmU, mit Hauptdarstellern, Deutschlandpremiere, präsentiert von choices)
17 Uhr: In Their Room (OmU, mit Regisseur Travis Mathews)
19 Uhr: Leading Ladies (OmU, mit Daniel Beahm)
21.15 Uhr: La Mission (OmU, Abschlussfilm)
weiterer Text zum Thema:
Von politisch bis poetisch – Gespräch mit Martin Wolkner, der das Festival ins Leben rief
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