Ein goldener Drache mit rot funkelndem Auge schlängelt sich raumgreifend von einer Bühnenseite zur anderen. Der Rumpf eine Holzkonstruktion, die einer Mikado-Skulptur ähnlich sieht – es könnten auch Essstäbchen eines „Thai-China-Vietnam-Schnellrestaurants“ sein. Hier – im „Goldenen Drachen“ – arbeiten fünf Asiaten in einer winzigen Küche, illegal. Der Jüngste hat Zahnschmerzen. Er wird die Nacht nicht überleben. Seine traurige Geschichte ist eine von mehreren, die Roland Schimmelpfennig zu einer kunstvollen Montage dramatischer Miniaturen zusammengesetzt hat.
Wie so oft in Schimmelpfennigs Stücken geht es in „Der goldene Drache“ immer auch um die alten Theaterfragen nach Sein und Schein, nach dem So-tun-als-ob, dem Spiel von Rollen: „Wenn ich etwas ganz anderes sein könnte, als ich bin“, sagt einmal eine der Figuren. Derer gibt es 18, verteilt auf zwei Schauspielerinnen (Rebecca Madita Hundt, Eva Horstmann) und drei Schauspieler (Till Brinkmann, Kai Hufnagel, Manuel Moser). Gender, Alter und ethnische Herkunft werden dabei ausgehebelt. Die pure Behauptung einer Ansage („Die Frau in dem roten Kleid“), Andeutungen und Kostümwechsel genügen, um in den Köpfen des Publikums die entsprechende Vorstellung aufzurufen. Der souverän ironische Umgang mit diesen – notwendigerweise – klischeehaften Bildern gehört zu den vielen Vorzügen der kongenialen Inszenierung Rüdiger Papes.
Schon die von einer poetischen Abstraktion zeugende Bühne Flavia Schwedlers gibt die anti-naturalistische Richtung vor. Das Motiv der Stäbchen wiederholt sich in den Drumsticks des Ensembles, die mit rhythmischen Schlägen den Takt der Arbeit symbolisieren. Pape und sein bravourös aufspielendes Ensemble nutzen das Als-ob des Theaters als Prinzip: Die Schauspieler beobachten und kommentieren sich gegenseitig, zeigen die langsame Verfertigung einer Szene bei der Probe und freuen sich ungeheuer an der Verkleidung. So geben etwa Till Brinkmann und Kai Hufnagel als zwei Flugbegleiterinnen ganz reizende Transen ab, und Manuel Moser kann sicherlich als eine der elegantesten asiatischen Tänzerinnen der Stadt gelten.
Ihnen zuzusehen ist kurzweilig, ja sogar ziemlich lustig – man muss nur aufpassen, sich dadurch nicht von den politischen Ungeheuerlichkeiten ablenken zu lassen, um die es in dem Stück auch geht: Zwangsprostitution, Gewalt gegen Frauen, illegale Einwanderung und moderne Arbeitssklaverei. Eva Horstmann zeigt einen sadistischen Zuhälter im Gewande eines Lebensmittelhändlers mit der Verhaltenheit, die es braucht, einen frösteln zu lassen. Der intensivste Moment aber, in dem eine Figur so sehr bei sich ist, dass Text und emotionale Haltung deckungsgleich sind, gehört Rebecca Madita Hundt. Die Seelenreise des toten chinesischen Jungen zurück in seine Heimat ist ein berührender Monolog über Einsamkeit und Heimweh, die Angst und die Verzweiflung, sich auf ein illegales Leben in einer feindlichen Fremde einzulassen. Chapeau!
„Der goldene Drache“ von Roland Schimmelpfennig | Regie: Rüdiger Pape | Theater im Bauturm | 1.-4./16.-19.5., 20 Uhr | www.theater-im-bauturm.de
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Licht in der Finsternis
„Brems:::Kraft“ in Köln und Mülheim a.d. Ruhr – Theater am Rhein 01/25
Endsieg für Ödipus
Elfriede Jelineks „Am Königsweg / Endsieg“ in Bonn – Prolog 01/25
„Es geht schlichtweg um alles“
Regisseur Marcus Krone und Schauspielerin Kristina Geßner über „Am höchsten Punkt“ in der Orangerie – Premiere 01/25
Ausweg im Schlaf
„Der Nabel der Welt“ in Köln – Theater am Rhein 01/25
Klamauk und Trauer
„Die Brüder Löwenherz“ in Bonn – Theater am Rhein 01/25
Schussbereite Romantik
„Der Reichsbürger“ in der Kölner Innenstadt – Auftritt 01/25
Ein Bild von einem Mann
„Nachtland“ am Theater Tiefrot – Theater am Rhein 12/24
Fluch der Stille
„Ruhestörung“ am TdK – Theater am Rhein 12/24
Im Land der Täter
„Fremd“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 12/24
Freude und Bedrückung
35. Vergabe der Kölner Tanz- und Theaterpreise in der SK Stiftung Kultur – Bühne 12/24
Das Mensch
„Are you human“ am TiB – Theater am Rhein 12/24
Vererbte Traumata
Stück über das Thiaroye-Massaker am Schauspiel Köln – Prolog 12/24
„Andere Realitäten schaffen“
Dramaturg Tim Mrosek über „Kaputt“ am Comedia Theater – Premiere 12/24
Lang lebe das Nichts
„Der König stirbt“ am Schauspiel Köln – Auftritt 12/24
Tanzen gegen Rassentrennung
„Hairspray“ am Theater Bonn – Theater am Rhein 11/24
Biografie eines Geistes
„Angriffe auf Anne“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 11/24
Selbsterwählte Höllen
„Posthuman Condition“ am FWT – Theater am Rhein 11/24
„Die Hoffnung muss hart erkämpft werden“
Regisseur Sefa Küskü über „In Liebe“ am Orangerie Theater – Premiere 11/24
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Die ultimative Freiheit: Tod
„Save the Planet – Kill Yourself“ in der Außenspielstätte der TanzFaktur – Theater am Rhein 10/24
Die Maximen der Angst
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei – Theater am Rhein 10/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
Wenn das Leben zur Ware wird
„Hysterikon“ an der Arturo Schauspielschule – Prolog 10/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24