Nochmal für Leben sorgen, bevor man es anderen nimmt. Der junge Militärarzt Max (Arne Obermeyer) geht mit der lebensprühenden Ruth (Isabelle Barth) ins Bett, bevor er an die Front muss. Er im grauen Soldatenmantel, sie im Feinripp. Da könnte mehr draus werden. Ruth weiß sofort, dass sie schwanger ist und freut sich, doch schon beim nächsten Heimaturlaub ist alles aus. Sie redet gar nicht mehr mit dem Vater ihres Kindes, ihre Mutter liest Max und seinen getunten Soldatenallüren die Leviten. So beginnt ein alleinerziehendes Leben, so kommen Traumata in die Welt.
Das Theater der Keller bringt Anne Habermehls „Luft aus Stein“ als deutsche Erstaufführung auf die Bühne. Ein Stück, das dem Phänomen der transgenerationellen Traumatisierung nachspürt, also der Übertragung von Schuldgefühlen von den Eltern auf Kinder und Enkel. Da ist Ruths Tochter Hanna, die Anfang der Sechziger ihre Mutter verlässt – und die später selbst zwei Kinder auf die Welt bringt, Paula und Anton, zwei inzestuös verstrickte Jugendliche, die mit dem Auto vor die Wand rasen. Habermehl liefert vor allem Schlaglichter der Angst, des Verlassenwerdens, des Vaterverlusts, von verzweifelter Nähe, die chronologisch kräftig durchgeschüttelt werden. Doch was das Trauma ausmacht, bleibt letztlich nebulös.
Regisseur Heinz Simon Keller schafft Orientierung durch ein Verweisnetz aus wiederkehrenden Kostümteilen und szenischen Metaphern; Nachrichtenmeldungen und Musik helfen bei der zeitlichen Verortung. Während Hanna mit Baskenmütze ihre Sachen packt, liefert sie sich ein Trennungsduell mit ihrer verhärmten Mutter Ruth, die aus einem Kleiderberg einen Soldatenmantel herauswühlt. Der mit Steroiden vollgepumpte Anton klammert sich verzweifelt an seine bodenständige Schwester Paula, die wiederum nach dem Unfall (Achtung: Vatersuche) mit dem Arzt ins Bett geht. Wie Identitätsnomaden driften die Figuren zwischen einem Zelt und einem Haufen Klamotten an der Bühnenrampe (Ausstattung: Tobias Flemming) hin und her. Doch auch wenn die vier Schauspieler Susanne Seuffert, Isabelle Barth, Arne Obermeyer und Bernhard Schmidt-Hackenberg das ansehnlich machen, letztlich können auch sie dem skizzenhaften Stück und seinen Schwundcharakteren nicht auf die Beine helfen.
„Luft aus Stein“ | R: Heinz Simon Keller | 6., 27., 28.6. 20 Uhr, 8.6. 18 Uhr, | Theater der Keller | 0221 31 80 59
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