Nach den Grundrechenarten von Investition und Rendite scheint das Ergebnis eindeutig: Die Putzfrau kann für viel Geld in einer Zeitung eine Anzeige schalten, die wahrscheinlich nur von wenigen gelesen wird. Oder sie stellt sich mehrere Abende auf die Bühne, macht jedes Mal Werbung für sich und wird dafür noch bezahlt.
Vielleicht hat Maria Dos Santos ja so gerechnet, als sie sich entschieden hat, in Hofmann&Lindholms faszinierendem neuen Stück „Heile Welt“ mitzuspielen. Vier Freelancer, von der Putzfrau über den Alleinunterhalter, den Versicherungs-makler bis zum Gastwirt, stehen auf der Bühne. Abwechselnd treten sie für ihre „on stage promotion“ auf einen kleinen Teppich, quasi den Gebetsteppich der Selbständigkeit und der Zuschauer erfährt biographische Details aus ihrem Leben. Da ist zum Beispiel Herr Erfurth, von Beruf musikalischer Alleinunterhalter, helles Hemd, schwarze Jeans, der schon als Kind an der Orgel saß. Er hat über 700 Musiktitel parat und hält sich für einen unfehlbaren Massenpsychologen.
Zugleich ist Herr Erfurth an diesem Abend aber auch ein Entmündigter, der nicht selbst sprechen darf, sondern über den gesprochen wird: Von dem Chronisten-Quartett Lara Pietjou, Andrea Boehm-Tettelbach, Roland Görschen und Robert Christott. Hatten Hofmann&Lindholm bisher ihre Experten des Alltags alleine auf die Bühne geschickt, so treten nun neben die alltäglichen Experten noch alltäglichere Experten. Das erinnert an den Satz der postkolonialen Theorie „Can the subaltern speak?“, der danach fragt, wie der Westen Subalterne über einen bevormundenden Modus der Repräsentanz zum Sprechen bringt. Analog konstruieren
Hofmann&Lindholm ein Showkonzept, das in der Rollenverteilung den Begriff des Laien politisch deutet und Menschen als vermeintlich authentische Repräsentanten ihrer selbst ohne Sprache präsentiert. Gerade das Sprechen aber gilt im Westen als Ausdruck von Subjektivität − und als identitätsstiftend. Identität ist an diesem Abend aber allenfalls Spielmaterial. Wie immer zimmern Hofmann&Lindholm zwar einen quasidokumentarischen Rahmen mit Uhrzeiten und Fotos, die Biographien werden aber kräftig durchgeschüttelt: Mal ist Maria Dos Santos’ Sohn vier, mal sechs, mal acht Jahre alt.
Was bleibt, ist eine Projektionsmaschine, die dem Zuschauer den Gastwirt Georgius Antonakopoulos als Hobby-Archäologen und -Philosoph verkauft – in jedem Griechen lebt bekanntlich ein Platon und Alexis Sorbas. Dass in dieser „Heilen Welt“ Migranten putzen und kochen, die Deutschen für Sicherheit und Kunst sorgen, ist dabei eher eine böse Petitesse. Denn sarkastisch wird im zweiten Teil ein Bild von der Selbstsuggestion des geglückten Lebens gezeichnet. Selbständige sind schließlich notorisch glücklich. Doch die vier Werbeträger auf der Bühne sind allenfalls solitäre Sternschnuppen mit einem böse klischierten PR-Lebensschweif. Im September präsentieren Hofmann&Lindholm ihr neues Stück „Archiv der künftigen Ereignisse“ als Handy-Hörspiel in der Stadt.
„Archiv der zukünftigen Ereignisse“ von Hofmann&Lindholm | Öffentlicher Raum | Schauspiel Köln/DeutschlandRadio Kultur | ab 15.9. 2011
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