Auch wenn sie sich – am rechten Ort – auf die Dimensionen des Tanzes konzentriert: „Tänzer.Sein“, die derzeitige Ausstellung des Deutschen Tanzarchivs der SK Stiftung Kultur, zielt auf das Wesen von Kunst überhaupt, auf die Konstitution des Menschen unter den Gesetzen der Schwerkraft. Für die Skulptur ist dies ohnehin ein Thema, schließlich gibt es immer wieder Kollaborationen von Bildhauern und Tänzern. Im Tanzmuseum ist nun also eine umfassende, multimedial angelegte Ausstellung zu sehen, welche den Körper in der Geschichte des Tanzes der letzten hundert Jahre in den Mittelpunkt stellt und seine Einzigartigkeit zwischen Stil und Belastung auffächert. Sie orientiert sich an Persönlichkeiten wie auch an Zeiten und Moden. So veränderte sich das Menschen- und damit Körperbild im Laufe des 20. Jahrhunderts von den Vorstellungen einer Befreiung des Körpers im Tanz über die Ideologie des sogenannten neuen Menschen bis hin zur völligen Freiheit des Körpers beim Tanz – und zum Verschwinden der Leiblichkeit. Die Ausstellung handelt mit dem ganzen Repertoire musealer Präsentation vom Schriftzeugnis und Foto bis hin zur Projektion, auch mit Beiträgen bildender Künstler. Tanz aber, und auch das wird deutlich, ist eine enorm flüchtige, nur im Augenblick ihrer Aktion existente Kunst.
Mit dieser Ausstellung unterstreicht das Deutsche Tanzarchiv, wie sehr die physische und dabei emotionale Konstitution des Menschen Teil seiner Forschung ist. Dass Tanz auch Ausdruck der Seele ist. Das deutsche Tanzarchiv geht zurück auf die Tanzsammlung, die der Tänzer Kurt Peters ab 1948 angelegt hatte: mit Fotos und Aufzeichnungen von Tänzern, Choreographen und Pädagogen. Dieser Bestand wurde 1985 von der SK Stiftung Kultur der Stadtsparkasse Köln erworben und gemeinsam mit der Stadt als Informations-, Dokumentations- und Forschungszentrum für Tanz zugänglich gemacht.
Wie der Tänzer so der Sportler: Derartige Überlegungen und Fragestellungen, welche dem Umgang mit dem Körper nachgehen und seine physische Beherrschung vor Augen führen, beschäftigen ebenso das Deutsche Sport & Olympia Museum, das dazu ebenfalls der bildenden Kunst Raum gibt. Dazu gehörten vor eineinhalb Jahren die eindrucksvollen Unterwasser-Gemälde von Anna Löbner, und dazu gehört nun auch die Fotografie von Gregor Hübl. Hübl, der 1967 in Hardheim/Odenwald geboren wurde, fokussiert den Leistungssportler. Seine großformatigen Farbfotografien schildern pathetisch und plakativ, aber auch eindrucksvoll die sportliche Höchstleistung als Sache des Körpers wie auch der Psyche. Vor einem oft dunklen, weiten Hintergrund sind Sportgrößen unterschiedlicher Disziplinen in der einen Sekunde vor der entscheidenden Aktion aufgenommen. Konzentration und Muskelanspannung sind eingefroren. Begriffe wie Präzision und Willensstärke kommen einem in den Sinn und sind noch durch die enorme Präsenz der Sportler im Vordergrund des Fotos betont. Transparent wird, was Hochleistungssport ausmacht und worin die Faszination liegt. Aber ob daraus auch Portraits von Sportlern wie Britta Heidemann und Steffi Nerius werden? Man muss sehen, ob die Dramaturgie der Szene sich nicht selbst im Weg steht. Ansätze und Einblicke liefert Hübl, und er legt implizit die Verwandtschaften zum Tanz frei, indem seine Fotografien im Grunde auch Studien vom Funktionieren des menschlichen Körpers sind.
In Köln, der Kunststadt mit ihren zahlreichen Ausstellungsinstituten und Galerien, finden natürlich auch jetzt „reine“ Kunstausstellungen statt, die vom Körper und seiner Bewegung handeln; in indirekter Weise trifft das vor allem auf die Schau von Joel Shapiro bei Karsten Greve zu. Der 1941 geborene US-Amerikaner gehört zu den Künstlern, von denen jeder bestimmt mal etwas gesehen hat. In Berlin-Mitte steht eine monumentale Skulptur, und in Köln selbst beherbergt der Skulpturenpark am Rhein eine charakteristische Arbeit. Shapiros große Bronzeplastiken erinnern oft an Figuren, tatsächlich sind sie abstrakt, ja, gegenstandsfrei. Ein mächtiger kantiger Balken ragt leicht schräg empor, darüber verzweigen sich weitere Glieder einmal sparsam, dann doch wieder opulent, in den Winkeln aber genau abgewogen. Arme scheinen zu gestikulieren, mit einem Mal ist die ganze Skulptur wie ein Körper in lebhafter Bewegung. Shapiros Arbeiten müssen umquert werden, von jeder Seite sehen sie anders aus, das hat auch mit den jeweiligen Lichtverhältnissen und der Befindlichkeit des Betrachters selbst zu tun. Es gibt auch freiere, manchmal auch farbige Skulpturen von Shapiro – die Ausstellung bei Greve deckt das ganze Repertoire ab –, die allenfalls an die Struktur einer Gliederpuppe denken lassen; dann wieder erinnert die Skulptur an einen Baum oder architektonische Situationen, als Verweissystem im Raum. Sie ist, wie Gerhard Kolberg im Katalog KölnSkulptur 5 (2009) so treffend geschrieben hat, „ein Zustand immanenter Möglichkeiten, eine pantomimische Anregung zur Phantasie und Sympathie.“ – Womit wir wieder beim Verhalten des Körpers im Tanz sind. Das Schönste ist: Für nächstes Jahr hat das Museum Ludwig eine Schau mit Joel Shapiro angekündigt.
Tänzer.Sein – Körperlichkeit im Tanz I bis 21. August 2011 als Ausstellung des Deutschen Tanzarchiv Köln/SK Stiftung Kultur im Tanzmuseum I www.sk-kultur.de/tanz
Athletische Momente – Sportfotografie von Gregor Hübl I bis 12. Dezember im Deutschen Sport & Olympia Museum I www.sportmuseum.de
Joel Shapiro – Skulptur I bis 6. November in der Galerie Karsten Greve I www.galerie-karsten-greve.com
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