Samstag, 11. April: Man sieht sie aus höheren Gebäuden am Horizont, die gewaltigen Braunkohlekraftwerke westlich von Köln, oder zumindest das, was von ihnen aufsteigt. Das größte europäische Braunkohlerevier liefert laut RWE über 70 Mrd. kWh Strom im Jahr und sorgt wesentlich dafür, dass Braunkohle mit rund einem Viertel im deutschen Strommix vertreten ist. Auf der Konferenz „Kampf ums Klima 2015“ an der Uni sprachen Experten im Workshop „Coal Kills“ über „Braunkohle und Gesundheitsgefährdungen“. Köln ist durch den vorherrschenden Westwind besonders von Feinstaub betroffen, der vom Revier kommt. Aber warum ist er gefährlich, was hat Kohle damit zu tun und was können wir tun, um uns zu schützen?
Dem Feinstaub auf der Spur
Wolfgang Schäfer vom Vorstand des Netzwerks Bergbaugeschädigter des Rheinischen Braunkohlereviers besucht als Anwohner regelmäßig den 1979/80 in Betrieb genommenen Tagebau Hambach. Tagebau erzeuge im Revier die Hälfte des Feinstaubes, dadurch, dass das Erdreich aufgerissen und die Kohle auf Förderbändern und Zügen über lange Strecken an freier Luft transportiert werde – mit jeweils vielen „Absätzen“, die er als Feinstaub-„Hot Spots“ bezeichnet. Besonders direkt am Schaufelradbagger und dort, wo Kohle oder Sande aufgeschüttet werden, kann man auf seinen Fotos leicht den „sichtbaren“ Staub in der Luft erkennen. Der eigentliche Feinstaub sei messbar, aber unsichtbar und im Durchmesser sehr viel kleiner als der Durchmesser eines Haares. Zum Feinstaub aus dem Tagebau kommt der besser bekannte aus den Veredelungsanlagen und den Kraftwerken. „Es wird immer Feinstaub freigesetzt, nur die Wetterbedingungen haben natürlich einen Einfluss auf die Messwerte der Messstationen.“
Versteckte Gefahr im Feinstaub
Der Feinstaub kann aus einer ganzen Anzahl von Stoffen wie etwa Quarz bestehen. In Schäfers Schema vom Erdreich unter dem Bagger sind kleine Blasen eingezeichnet, die er als „Sarkophage“ oder „Nester“ bezeichnet. „Innerhalb der Erde gibt es Uran. Das ist ganz was Normales.“ Ein Zerfallsprodukt davon sei Radon. „Radon ist ein Alpha-Strahler, er ist wasserlöslich, und er hat auch eine Anomalie, er ist gasförmig.“ Sein nächstes Zerfallsprodukt sei das giftige Polonium-210. Das Radon werde beim Baggern, sobald nur noch ein Meter Erde darüber liege, freigesetzt und „dringt an die Kohle und auch ins Grundwasser ein“, zumal es eben wasserlöslich sei. Dass Radon tödlich ist, wenn es etwa durch Risse im Fundament aus dem Erdreich in Häuser dringe, sei wegen der 2000 deutschen Todesopfer im Jahr bekannt, die dadurch an Lungenkrebs stürben. Doch unterm Haus handle es sich um Radon aus drei Metern Tiefe. „Wenn sie jetzt bis auf 450 Meter mit dem Bagger runtergehen, hat das ganz andere Dimensionen.“ Mit dem Feinstaub oder bei Nebelwetter atme man das dann ein. 1982 hätte ein Wissenschaftler fast Atomalarm ausgelöst, als er in Jülich die hohe Alpha-Strahlung keiner Quelle zuordnen konnte. Die Strahlenschutzwerte würden seit langem weit überschritten, doch „Tagebau wird nicht überwacht“.
Fehlende Daten
Für RWE, das das Kohlerevier betreibt, würde nur ein Bruchteil des Feinstaubs aus dem Tagebau kommen, der Rest sei Hintergrundbelastung. „Ich kann das ganz klar entkräften.“ Hinter einem Tagebau würden an den existenten Messstationen in umliegenden Kleinstädten deutlich höhere Werte gemessen als davor, wenn der Wind über den Tagebau gehe. Die Dimensionen seien vielen nicht klar. „Man macht ja immer den Verkehr für den Feinstaub so verantwortlich.“ Dabei werde in Straßenschluchten gemessen, wo sich der Staub „aufhalte“ und ganz nah an seiner Quelle gemessen werde. 150 Meter entfernt sei von dieser Straße kaum noch etwas messbar. Neben einem Kohlebunker wäre der Messfilter „innerhalb von zwei Minuten zu.“ RWE ziehe sich immer auf „Hintergrundbelastung“ und Nichtwissen zurück. Das Volumen des Feinstaubs zu messen, sei nicht vorgeschrieben, und so habe Schäfer zu Beginn seiner Studien amerikanische Daten von Western Energy herangezogen, das in Montana 11.2 Mio. Tonnen pro Jahr Braunkohle ausbaggere. Die PM10-Belastung werde offiziell mit 1886 Tonnen pro Jahr angeben. Auf den Tagebau Hambach umgerechnet (Jahreskohleproduktion 40 Mio. Tonnen), habe sich ergeben, dass 153 Tonnen Feinstaub pro Tag freigesetzt würden und somit mehr als die 134 Tonnen, die täglich im deutschlandweiten (!) Verkehr entstehen würden.
Wahrscheinlich sei es noch schlimmer: „Der Tagebau Hambach hat viele, viele Hot Spots, die bei der Western Energy nicht sind.“ Die Wege der Kohle seien komplizierter und länger. Die Bandanlagen im Revier hätten eine Länge von 105 Kilometern. Im öffentlichen Schadstoffregister (thru.de) müssten sich alle Emittenten eintragen lassen. „Alle haben’s veröffentlicht, auch die Kraftwerke. Aber der Tagebau nicht.“ RWE habe da selbst keine Daten.
Feinstaubminderung funktioniert nicht
2005 trat ein Aktionsplan zur Reduzierung des Feinstaubs in Kraft, der Grobstaub sei zwar zurückgegangen, doch beim Feinstaub PM10 (und erst recht bei PM2,5) habe die Bewässerung und der Einsatz von Nebelkanonen der Kohle wenig gebracht; Schäfer selbst, dessen Terrasse noch so schmutzig werde wie zuvor, habe bei seinen Besuchen vor Ort die Maßnahmen sowieso noch nie mit eigenen Augen gesehen. Das Absprühen der Kohle habe ohnehin ungewollte Effekte wie vermutlich Legionellen im Wasser, wenn es längere Zeit unter Sonneneinstrahlung in den Schläuchen stehe. Nur so könne er sich die „rätselhaften“ Lungeninfekte in Jülich im vergangenen Jahr erklären. Außerdem sei ja das Radon wasserlöslich.
Medizinische Sicht
Außen vor blieben bei Wolfgang Schäfer aus Zeitgründen die Schädigung der Wasserwege und die Bodenverseuchung. Der Kinderarzt Christian Döring von Pumona (Präventive umweltonkologische Ambulanz Köln) wies kurz auf mögliche Trinkwasserprobleme hin, wenn die Gruben durch eine Seenlandschaft ersetzt werden, und auf „tektonische Bewegung“ unter den Schlackendeponien, durch die ebenfalls das Grundwasser gefährdet sei. Später ging er auf die Wirkungsmechanismen von Feinstaub im menschlichen Körper ein. Um die ultrafeinen Partikel zu zersetzen, die in die Bronchien und die Lunge gelangen, bilde der Körper ständig Abwehrstoffe, die ihrerseits giftig seien und chronische Entzündungen auslösen würden. Auf Dauer könne daraus Lungenkrebs entstehen. Die bei Kohleverbrennung entstehenden Stoffe wie Dioxine und PAKs seien „adhäsiv“ und „je kleiner, desto permeabler“. Studien zeigen, dass Braunkohle im Vergleich etwa zu Verkehrsstäuben „mit die heftigsten Reaktionen“ im Körper verursache. Die Abwehrzellen seien bei den freigesetzten Stoffen die meisten und die am längsten aktiven. In NRW seien die Lungenkrebs-Erkrankungen am steigen, auch wenn der Kohlestaub in Köln nur ein Viertel oder ein Sechstel des Pekinger Niveaus betrage. Blutgefäße, Viskosität und Organe wie das Gehirn seien ebenfalls nachweislich betroffen. Ins „Grüne“ zu ziehen bringe in NRW aber wenig, denn wie auch Schäfer gezeigt hatte, verteilten sich die Schadstoffe sehr weiträumig. Auch das Stehenlassen des Autos an Tagen mit hohen Feinstaubwerten trage an Orten wie Rodenkirchen wenig bei, wo an der Messstation vorwiegend Hintergrundbelastung gemessen werde. „Das ist nicht der Verkehr!“ Kohlefeinstaub sei ohnehin um das Dreifache schädlicher.
Quecksilber
Auch die Kraftwerke selbst, über deren Feinstaubemissionen es keine so großen Rätsel gibt, sollten an dem Nachmittag nicht vergessen werden. Greenpeace-Kampaigner Daniel Moser referierte über das Quecksilber, das bei der Verbrennung von Kohle weiträumig freigesetzt werde und das Greenpeace nun als internationales Problem verstärkt im Fokus habe. „Insgesamt ist die Braunkohle für etwa 50 Prozent der menschengemachten Quecksilber-Emissionen in Deutschland verantwortlich.“ Er erklärte, wie das Quecksilber entweder gasförmig (als „elementarer Hg-Dampf“) oder als Methylquecksilber in den menschlichen Körper gelange. Der Regen trage das Quecksilber ins Meer, wo es sich in diese noch viel giftigere Substanz verwandle und sich über die Nahrungskette anreichere, sodass z.B. in Thunfisch sehr hohe Konzentrationen gemessen würden. Der Mensch sei dann „Endlager aller Umweltgifte“: „Quecksilber im Menschen akkumuliert sich.“
In deutschen Gewässern würden die Umweltnormen seit den 90er Jahren durchgehend überschritten. „Da Quecksilber eine lange Halbwertzeit hat, sehen wir auch nicht, dass sich die Belastung mit Quecksilber und seinen Verbindungen in den Fischen schnell reduzieren könnte.“ Nach Bemerkungen zur besonderen Gefährlichkeit der Stoffe für Föten und Kleinkinder (Schädigung des Nervensystems, Konzentrations- und Intelligenzverlust) verwies er auf Untersuchungen, laut denen die von den meisten Studien als bedenklicher Wert angesehene Menge von 0,58 Mikrogramm pro Gramm im Körper bei 30 Prozent aller Neugeborenen in Europa erreicht und überschritten werde. Wegen der Auswirkungen auf die Intelligenz und somit auf das Bruttoinlandsprodukt würden in den USA bereits strengere Grenzwerte gelten.
„Wir haben zurzeit einen Prozess auf der EU-Ebene, die Industrial Emissions Directive, und diese Direktive beinhaltet bisher keine Grenzwerte für Quecksilber.“ Nun sollen die entsprechenden Referenzdokumente geändert werden, doch „wir sehen, die meisten Grenzwerte, die die EU da vorschlägt (…) zwingen in keinster Weise zum Handeln. (…) Länder können natürlich jederzeit schärfere Grenzwerte festlegen.“ Nach US-Grenzwerten würde „in Deutschland nur ein einziges Kohlekraftwerk eine Betriebserlaubnis haben.“ Dabei seien die Nachrüstkosten bei uns geringer, weil die Umwelttechnik weiter sei.
Moderator Alfred Weinberg (aktiv bei Attac und SoVie, Solidarische Vielfalt - Kölner Gruppe gegen Braunkohle, Mitgründer von AusgeCO2hlt) wünschte sich mehr Aufmerksamkeit für das Thema und bemerkte in der kurzen Abschlussdiskussion, „dass wir nicht immer nur appellieren oder warten sollen“, sondern es besser sei „selber zu realisieren und exemplarisch etwas aufzuzeigen“. Zum Beispiel sei es sicher „gut angelegtes Geld“, wenn Umweltverbände sich eigene Messgeräte beschafften.
Am Braunkohletagebau Garzweiler findet am 25. April die von Greenpeace mitveranstaltete Anti-Kohle-Kette statt, u.a. mit der Forderung, den Abbau im Tagebau Garzweiler II bis 2030 zu beenden. Info: anti-kohle-kette.de
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