Auch Gleichheit lässt sich steigern: das ist eine der ersten Lektionen, die man in der Demokratie zu lernen hat. Alle sind gleich, aber einige fungieren als Entscheidungsträger und deren Diäten und Boni steigen unaufhaltsam. Bei George Orwell sind es die Schweine, die Milch und Äpfel kassieren, während die anderen Tiere das Heu fressen. Anja Schöne, die sich zunächst aufgrund ihrer Arbeit mit Schauspielamateuren einen Namen gemacht hat, präsentiert nach „Fatboy“ nun mit „Animal Farm / Revolutionary Pigs“ schon ihre zweite Inszenierung innerhalb von drei Wochen im Horizont Theater. Und diese Inszenierung ist noch um einiges komplexer als die erste, zumal sie zweisprachig gehalten ist, aber durch die klugen Wechsel zwischen Deutsch und Englisch nie den Faden der Handlung aus dem Auge verliert.
Wer gedacht hat, Orwells Text sei zu einer mit Symbolen überfrachteten Parabel des Totalitarismus gealtert, darf sich die Augen reiben. Anja Schöne holt mit ihrer Inszenierung mehr als politische Besserwisserei aus diesem Stoff hervor. Jede Szene des selbst bearbeiteten Texts wird mit aktuellen Bezügen verankert. Ein Kunststück, das mit müheloser Selbstverständlichkeit funktioniert. Ihre drei jungen Darsteller (Sarah Cossaboon, Daniel Calladine und Björn Lukas) wechseln im gestreckten Galopp von einer Tierrolle zur nächsten, ob Schaf, Pferd, Huhn oder Esel, die Charakterisierungen sind witzig und mit Spott bis zum Sarkasmus geladen.
Die Tiere leben bequem und besitzen auf einmal sogar Freizeit, und so wird man in einer Demokratie denn auch schnell faul und gedanklich träge und überlässt gerne den anderen das Feld, bis die das System der Ausbeutung politisch, ökonomisch und juristisch lückenlos etabliert haben. Diese Lektion sitzt. Es wird aber nie doziert, sondern jedes Wort gespielt und jeder Bezug – vom Zusammenbruch der DDR über Stuttgart 21 bis zur Femen-Aktion – in das Spiel um Revolution und ihr dekadentes Scheitern eingeflochten. Anja Schöne nutzt das Theater als Labor, in dem wir das Denken in einer Trockenübung trainieren können. Immer bleibt das Publikum für die drei fulminant agierenden Darsteller ein augenzwinkernder Partner im Dialog des gesellschaftlichen Diskurses. Treffsicher wird hier mit Schweinerüssel eine Form politischen Theaters serviert, deren Aktualität erfrischend aggressiv funktioniert.
„Animal Farm / Revolutionary Pigs” | R. Anja Schöne | Horizont Theater | 7.10., 15.10., 22.10., 30.10. je 20 Uhr | 0221 13 16 04
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