Das Theater im Bauturm und sein Leiter Gerhardt Haag machen mit dem interkulturellen Austausch Ernst. Das neu gegründete Festival „Africologne“ wird in enger Zusammenarbeit mit dem Partnerfestival „Récréâtrales“ in Burkina Faso eine Woche lang westafrikanisches Theater nach Köln holen. Im biennalen Rhythmus soll der von der Bundeskulturstiftung unterstützte Austausch ein Netzwerk schaffen, das in den nächsten Jahren auch Koproduktionen mit afrikanischen Partnern ermöglicht. Für die erste Festival-Ausgabe wurden Theatergruppen aus Burkina Faso, Haiti, dem Kongo und dem Senegal eingeladen.
choices: Herr Minoungou, Sie leiten das Festival „Récréâtrales“ in der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou. Worin liegt die Besonderheit dieses Festivals?
Etienne Minoungou: „Récréatrales“ ist ein Festival, das über mehrere Monate läuft. 2010 hat es 150 Tage gedauert. In einer ersten Phase bilden sich die Truppen heraus; dann folgt eine Phase, in der recherchiert und geprobt wird und schließlich folgte eine Woche mit Aufführungen. Da nicht jede Gruppe die Mittel dafür hat, um so lange konzentriert arbeiten zu können, werden sie vom Festival unterstützt; zweitens erlaubt die lange Produktionszeit einen intensiven Austausch zwischen Autoren, Regisseuren und Schauspielern; drittens ist „Récréâtrales“ ein Markt für die entstehenden Inszenierungen.
Wie groß ist dieser Markt?
Der Markt umfasst zunächst einmal Afrika. Die meisten Produktionen kommen aus Zentral- oder Westafrika, aus dem Maghreb oder aus dem Süden. „Récréâtrales“ ist aber auch ein Markt für Europa. Im vergangenen Jahr waren Festivalmacher aus Frankreich, Belgien, der Schweiz oder auch Deutschland wie Gerhardt Haag vom Theater im Bauturm da.
Wie lässt sich die Struktur der Theaterszene in Burkina Faso beschreiben?
Heute spielen sich die Theateraktivitäten vor allem in zwei Städten ab, in der Hauptstadt Ouagadougou und in Bobo-Dioulasso. Das Theater kam im Zuge der Kolonisierung nach Burkina Faso und fungierte zunächst als Mittel der Kommunikation, das sich später zu einem Theater der politischen Botschaften entwickelt hat. Heute gibt es zwei Richtungen: Das Theater der sozialen Intervention ist eher didaktisch und informiert über Aids oder die Beschneidung von Frauen. Es wird mit viel Geld von den NGOs oder dem Sozialministerium unterstützt. Daneben gibt es das künstlerische Theater, dem etwa vierzig Gruppen, zahlreiche Autoren und Regisseure zuzurechnen sind, das aber nur über geringe finanzielle Mittel verfügt. Dieses Theater der Kreation ist politisch, öffnet sich der Reflektion und dem Diskurs, nicht nur in Afrika, auch in Paris oder Brüssel. Da es keine Mittel dafür gibt, schafft das Festival „Récréâtrales“ einen Raum, in dem die Künstler arbeiten können.
Wie verläuft der Austausch mit Europa?
Da gibt es zum einen die afrikanischen Produktionen, die nach Europa eingeladen werden. Das könnten noch mehr sein. Europäische Produktionen kommen dagegen nur ganz selten nach Afrika. Oft spielen sie dann nur für die französische Bevölkerung in Afrika und nicht die Afrikaner. Das ist absurd. Schließlich finden immer wieder Koproduktionen statt, von denen aber jede zweite scheitert. Das liegt daran, dass derjenige, der das Geld mitbringt, also meist die Europäer, darüber entscheidet, welche Themen behandelt werden.
Auch „Récréâtrales“ wurde mit europäischem Geld neu ausgerichtet. Besteht da nicht die Gefahr einer Vereinnahmung?
Man muss jedes Mal neu um seine Freiheit kämpfen. Die Subventionen aus Europa beeinflussen natürlich die Arbeit. So ist zum Beispiel Geld für die Ausbildung vorgesehen. Da jedoch die Ausbilder oft Europäer sind, fließt das Geld wieder zurück. Oder es wird ein Austausch zwischen westafrikanischen und südafrikanischen Theatermachern unterstützt, für den es keine künstlerische Notwendigkeit gibt. Oder man finanziert Produktionen für den internationalen Markt, die in London oder Paris herauskommen. Das beeinflusst natürlich eine Inszenierung. Wir können diesen Einfluss nur dadurch abschwächen, dass das Festival über einen langen Zeitraum läuft und man oft nicht weiß, wie das künstlerische Ergebnis am Ende aussehen wird.
Wie sieht diese Beeinflussung durch den internationalen Markt konkret aus?
Die finanziellen Zusagen aus Europa beeinflussen zum Beispiel die afrikanischen Autoren. So haben eine Zeit lang viele über das Thema Kindersoldaten geschrieben. Zweites Beispiel: Obwohl nur 3 Prozent der Bevölkerung Afrika in Richtung Europa oder USA verlassen, aber 97 Prozent der Migrationsbewegungen sich innerhalb Afrikas vollziehen, schreiben die Autoren hauptsächlich über diese drei Prozent. Darin liegt der Einfluss des internationalen Marktes.
Wie beurteilen Sie den von der Politik beschworenen interkulturellen Austausch?
Das ist ein Witz. Die Beziehungen zwischen Europa und Afrika waren zu Beginn von Gewalt geprägt. Damals hat niemand über Austausch geredet. Heute sind es gerade die Exkolonisatoren, die von kultureller Diversität reden und einen interkulturellen Austausch wollen. Das kommt etwa 100 Jahre zu spät. Ich glaube, dass dieser von der Politik vorangetriebene kulturelle Austausch in keiner Weise ernsthaft gewollt und ehrlich ist.
Wie wichtig ist dann die Kooperation mit einem Festival wie „Africologne“?
Die Teilnahme an einem Festival wie „Africologne“ sichert den Theatergruppen das Überleben und sie können so ihre Arbeit fortsetzen. Zugleich verschaffen sie sich so zusätzliche Legitimation für ihre Arbeit vor Ort, weil damit offensichtlich Einladungen nach Köln, Paris oder Südafrika verbunden sind. Drittens könnte das eine neue Öffnung für das afrikanische Theaterschaffen herbeiführen, das normalerweise nur in Frankreich wahrgenommen wird. Schließlich haben Gastspiele auch Einfluss auf Institutionen, die Kooperationen auf kulturellem Gebiet unterstützen und dann anders auf unsere Arbeit sehen.
„Africologne“ – Festival des afrikanischen Theaters I Theater im Bauturm, Rautenstrauch-Joest-Museum, Millowitsch Theater I 22.-28.6. I Karten: 0221 52 42 42
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