Guus Kuijer schreibt Kinderliteratur. Aber es gibt ja Leute, die behaupten, in der Literatur gäbe es nur eine Unterscheidung zwischen guter und schlechter Literatur. Dass Guus Kuijer zu den großen seines Fachs gehört, erkennt man daran, dass Kinder ebenso von seinen Romanen gefesselt sind, wie Erwachsene. Polleke heißt die Heldin in seinem berühmtesten Buch „Wir alle für immer zusammen“, und was sie uns erzählt, das ist sehr komisch und manchmal auch ganz schön traurig. Rüdiger Pape hat für seine Inszenierung in der Comedia aus Polleke einen Paul gemacht, und der ist kreuzunglücklich, seit sich sein Lehrer in seine Mutter verliebt hat.
Das ist aber nicht das einzige Problem im Leben des Elfjährigen, denn Pauls Vater, der mit einer anderen Frau eine Familie hat, hält sich für einen Dichter, strandet aber bei den Kiffern auf der Straße. Paul ist von der fixen Idee besessen, die Träume seines Vaters retten zu müssen. Dann gibt es da noch Fatima, seine Klassenkameradin, in die er sich schwer verguckt hat. Nur ist Fatima einem Jungen in Marokko versprochen, ein Umstand, der diesem Mädchen viel weniger zusetzt als Paul. Das Chaos der Großfamilie bricht herein, und Luan Gummich spielt den Paul denn auch als einen Jungen, der von seinen widerstreitenden Gefühlen heftig gebeutelt wird, aber letztlich den inneren Kompass besitzt, um nicht in der komplizierten Welt der Patchwork-Verhältnisse unterzugehen.
Rüdiger Pape zentriert das Geschehen auf eine schlanke, trapezförmige Bühne, aus der seine Darsteller wie Springteufel hervorschnellen. Wie maßgeschneidert funktioniert das temporeiche Spiel bis ins Finale mit pointierten Bildern und Gesten. Obwohl sich Paul verändert, ist die Inszenierung nicht auf eine Geschichte im eigentlichen Sinne angelegt. Die Konfrontationen und Auseinandersetzungen mit Fatima, der Mutter, dem Vater oder dem Lehrer setzen sein Entwicklungspotenzial in Gang. So muss Theater sein, ein Pool für Ideen, die uns die Welt in einem anderen Licht erscheinen lassen. Flavia Schwedler liefert dazu eine genialisch einfache Bühne. Anton Weber, der die Männerrollen spielt, vermag Komik und Ernst fein auszubalancieren. Sibel Polat gibt den Frauenrollen starken Rückhalt und sie besitzt das wunderbare Schauspieltalent, Figuren nur mit wenigen aber genau beobachteten Gesten zu charakterisieren. Das Ergebnis ist eine Komödie mit ernstem Hintergrund, deren wunderbar komplexer Beziehungsstoff von Pape gezielt entwickelt wird und das Publikum durch die Generationen begeistert.
„Wir alle für immer zusammen“ | R: Rüdiger Pape | 25.-27.6. 10.30 Uhr, 25.6. 15 Uhr | Comedia | 0221 888 77 222
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Coole Jungs
Die Comedia präsentiert die „Edelweißpiraten“ als gereifte Herrenriege
Kampf gegen Windmühlen
„Don Quijote“ am Theater Bonn – Prolog 11/24
Die ultimative Freiheit: Tod
„Save the Planet – Kill Yourself“ in der Außenspielstätte der TanzFaktur – Theater am Rhein 10/24
Die Maximen der Angst
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei – Theater am Rhein 10/24
Keine Macht den Drogen
„35 Tonnen“ am Orangerie Theater – Prolog 10/24
Wenn das Leben zur Ware wird
„Hysterikon“ an der Arturo Schauspielschule – Prolog 10/24
Wege in den Untergang
„Arrest“ im NS-Dokumentationszentrum Köln – Theater am Rhein 10/24
Spam, Bots und KI
„Are you human?“ am Theater im Bauturm – Prolog 10/24
Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24
„Das Ganze ist ein großes Experiment“
Regisseurin Friederike Blum über „24 Hebel für die Welt“ in Bonn und Köln – Premiere 10/24
Diskussion ohne Ende
„216 Millionen“ am Schauspielhaus Bad Godesberg – Auftritt 10/24
Das schöne Wesen aller Dinge
Festival Spielarten 2024 in NRW – Prolog 09/24
Getanzter Privilegiencheck
Flies&Tales zeigen „Criminal Pleasure“ am Orangerie Theater – Prolog 09/24
Die Erfindung der Wahrheit
NN Theater Köln mit „Peer Gynt“ im Friedenspark – Auftritt 09/24
Bis der Himmel fällt
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Theater am Rhein 09/24
„Wir wollen Rituale kreieren“
Regisseur Daniel Schüßler über „Save the planet – kill yourself“ in Köln – Premiere 09/24
Der Witz und das Unheimliche
Franz Kafkas „Der Bau“ am Theater der Keller – Prolog 08/24
„Draußen geht viel mehr als man denkt“
Schauspielerin Irene Schwarz über „Peer Gynt“ beim NN Theater Freiluftfestival – Premiere 08/24
Feder statt Abrissbirne
„Fem:me“ in der Alten Feuerwache – Theater am Rhein 07/24
Der Untergang
„Liquid“ von Wehr51 – Theater am Rhein 07/24
Zum Schweigen gezwungen
Heinrich Bölls „Frauen vor Flusslandschaft“ in Bonn – Auftritt 07/24
Gefährlicher Nonsens
Kabarettist Uli Masuth mit „Lügen und andere Wahrheiten“ in Köln – Theater am Rhein 07/24
Den Schmerz besiegen
„Treibgut des Erinnerns“ in Bonn – Theater am Rhein 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
„Familie ist immer ein Thema“
Regisseur Rafael Sanchez und Dramaturgin Sibylle Dudek über die Spielzeit 2024/25 am Schauspiel Köln – Premiere 07/24