Jedes Mal die Hütte voll, was kann man sich in Oper und Schauspiel da noch wünschen? Neun Gastspiele international renommierter Tanz-Kompanien holte Hanna Koller in der letzten Spielzeit für die Kölner Bühnen an den Rhein, darunter die Ensembles von Maurice Béjart aus Lausanne, Akram Khan und Michael Clark jeweils aus London oder Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet aus Brüssel. Mit knapp einer Million Euro wird Hanna Koller für ihre Reise um die Welt ausgestattet. „Ich nehme kein Mittelmaß“, sagt die ehemalige Tänzerin, die in den neunziger Jahren zu den markantesten Ensemble-Mitgliedern in Jochen Ulrichs Tanzforum zählte, bevor sie von der Bühne ins Management wechselte.
Wie reagiert denn das Publikum in Paris und London auf die aktuellen Entwicklungen der Tanzkunst? „Dort ist der Umgang mit Tanz viel selbstverständlicher“, erklärt Hanna Koller, „die Leute gehen gleich von der Arbeit ins Theater, das ist für sie so normal wie das tägliche Brot. Man ist begeisterungsfähig, findet nicht alles gut, ist dabei aber nie böse in der Kritik“. In Köln gehört die Standing Ovation bei den Gastspielen schon fast zum Ritual, so dass die Begeisterung inflationären Charakter anzunehmen droht. Hanna Koller gefällt aber an diesem Publikum, dass es in seiner Altersstruktur durchmischt ist, viele junge Leute sitzen im Parkett, und es findet ein lebendiger Austausch über die Produktionen statt. Anders als in Düsseldorf, wo das Publikum des Haus-Choreographen Martin Schläpfer - den die Kölner nur zu gerne engagiert hätten - eher die älteren Jahrgänge lockt. „Die stehen dann schnell auf, wenn es ein bisschen experimentell wird“, gibt Hanna Koller zu bedenken.
Im Gegensatz zu Düsseldorf dienen die Gastspiele in Köln eben auch als Trostpflaster für ein Publikum, dem man weder ein Tanzhaus noch ein eigenes, städtisches Ensemble gönnt. Hanna Koller bietet in dieser Situation die Pralinées, die man sich nur zu gerne munden lässt. Sie versteht ihre Rolle jedoch durchaus als pädagogische Aufgabe. „Ich möchte den Leuten sagen: Schaut euch doch einmal das andere an, es gibt eine internationale Vielfalt auf hohem Niveau“. Deshalb präsentierte sie auch Maurice Béjarts 50 Jahre alten „Bolero“. Alle sollen den Klassiker einmal erlebt haben. Die strenge Stilistik eines Michael Clark muss man ebenfalls gesehen haben, auch wenn dessen frostige Choreographien erwartungsgemäß nicht begeistert aufgenommen wurden. Dagegen erinnert sich Hanna Koller noch gut an die beseelten Gesichter der Besucher nach der Vorstellung des erotischen Festmahls der italienischen Truppe des Aterballetto. „Diese Choreographien braucht man“, erklärt sie, „die Lust, gute Tänzer zu sehen, wird mit solchen Vorstellungen angeregt“.
Hanna Koller sieht ihren Auftrag im Versuch, die Faszination für den Tanz so lange am Leben zu erhalten, bis eine eigene Kompanie an den Kölner Bühnen installiert sein wird. Das Bemühen um eine solche Truppe ist jedoch in der politischen Landschaft der Stadt weit und breit nicht zu sehen, daher könnten die Gastspiele zur Dauereinrichtung werden und Hanna Kollers Funktion als Geschmacks-Testerin in Sachen Tanz wird sicherlich in Zukunft eine noch wesentlich größere Bedeutung zukommen. Sie hat verstanden, worum es geht, darin bestehen auch deshalb keine Zweifel, weil die neue Spielzeit gleich mit einem Paukenschlag beginnt. Denn mit Sasha Waltz' Inszenierung „Körper“ steht am 6. und 7. Oktober eine der bedeutendsten Choreographien der deutschen Tanzgeschichte auf dem Programm.
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