Kaprun-München-Köln. Drei Orte und drei Katastrophen, die Elfriede Jelinek in ihren Texten „Das Werk“, „Im Bus“ und „Ein Sturz“ ins Zentrum stellt. Kostet der Staudamm in den österreichischen Alpen 160 Menschen das Leben, so bricht in der bayerischen Hauptstadt beim U-Bahn-Bau ein Bus durch die Straßendecke. Beim Kölner U-Bahn-Bau führt der Wassereinbruch schließlich zum Einsturz des Historischen Archivs, bei dem zwei Menschen ihr Leben verlieren. Wenn Karin Beier zur Spielzeiteröffnung die drei Werke aneinanderreiht, entsteht daraus ein unaufhaltsames Katastrophenfatum fast biblischen Ausmaßes.
Karin Beier unterwirft Jelineks „Das Werk“ einer strengen Dreiteilung. Ein Schauspieler gibt vor dem roten Vorhang den moderierenden Einstieg ins Textmassiv über den Bau des Tauernkraftwerks von Kaprun, über Naturzerstörung, technische Hybris, Zwangarbeiter und Wasserpumpen. Ein Publikumsflüsterer, der den Themenpark des Stücks heranzoomt, bevor auf der leicht abgesenkten Bühne ein Tischarrangement (Bühne: Johannes Schütz) sichtbar wird.
Während die Männer in wilder Ingenieurskraftmeierei ihre Berechnungen beschwören, lassen die Frauen das Wasser aus Plastikflaschen gluckern, spritzen und fließen. Eine englische Putzfrau stöbert durch die Szene. Rote Schaufeln und eine rote Fahne werden zur Sozialistenschnulze „Vorwärts und nicht vergessen“ werden geschwungen. Spielerisch-revuehaft instrumentiert die Regie hier die jelinekschen Wortkaskaden, während die Musik von Jörg Gollasch mit streng rhythmisierten Röhrenglocken immer wieder auf die Vergänglichkeit anspielt und zugleich vorausweist auf das folgende Sprech-Oratorium – eindringlich gestaltet von einem 50köpfigen Männerchor und den Solisten. Ein Chor der Toten im Feinrippunterhemd, der in einem Memento die Opfer der megalomanen Bauprojekte aufruft. Fast wie ein Satyrspiel wirkt dann „Im Bus“, in dem drei grell aufgetakelte Untergrundbohrer als Totengräber vom Sturz eines Busses in die Münchner U-Bahn berichten.
Mörderischer Pas de deux
Proletkult, Schlager, Revue, Groteske, Requiem – stilistischer Reichtum paart sich mit musikalischer Durchgestaltung und schauspielerischen Höchstleistungen (stellvertretend seien Manfred Zapatka, Julia Wieninger und Caroline Peters genannt) und öffnet Jelineks Texte für immer neue Assoziationen. In der Uraufführung des für Köln entstandenen Textes „Ein Sturz“ wagt sich Karin Beier schließlich an eine Allegorie. Der Text inszeniert auf der Folie des 2009 infolge des U-Bahn-Baus eingestürzten Kölner Stadtarchivs eine Art feministisch-naturphilosophischen Endkampf zwischen Erde und Wasser. Auf der Bühne tanzt eine halbnackte braun eingestäubte Erda einen mörderischen Pas de deux mit einem blau gefärbten Wassermann, sarkastisch-voyeuristisch angeheizt von einer tumben Beamtenmeute. Dann heißt es plötzlich „Wasser marsch!“ und die Fluten quellen aus einem Bühnengrab; Papiere werden mühsam gerettet, Sand rieselt aus dem Schnürboden. Das Ende scheint nah. Die Zeit von Karin Beier, die mit Ovationen gefeiert wurde, scheint dagegen überhaupt erst anzubrechen.
„Das Werk“ / „Im Bus“ / „Ein Sturz“ von Elfriede Jelinek I R: Karin Beier
Schauspiel Köln I 3./30.12. I 0221 22 12 84 00 I www.schauspiel-koeln.de
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