Birds of Passage – Das grüne Gold der Wayuu
Kolumbien, Dänemark, Mexiko 2018, Laufzeit: 125 Min., FSK 12
Regie: Ciro Guerra, Cristina Gallego
Darsteller: José Acosta, Carmiña Martínez, Jhon Narváez
>> www.mfa-film.de/kino/id/birds-of-passage-das-gruene-gold-der-wayuu/
Ethnologischer Blick auf ein Drogenkartell in Kolumbien
Spirale der Gewalt
„Birds of Passage“ von Cristina Gallego & Ciro Guerra
„Die Familie … wird von den Fingern der Hand repräsentiert“, erklärt Úrsula ihrer Tochter Zaida. „Auf dass die Wayuu ihre Herkunft nicht vergessen! Solange es die Familie gibt, gibt es Respekt. Wenn es Respekt gibt, gibt es auch Ehre. Wenn es Ehre gibt, gibt es das Wort. Wenn es das Wort gibt, gibt es Frieden.“ In der ersten Einstellung bereiten sich Mutter und Tochter auf ein Ritual vor. Am Ende des Films wird es nichts mehr von dem, was die Mutter aufzählt, geben. Keinen Respekt, keine Ehre, keinen Frieden, und auch keine Familie. Auch ihre Herkunft werden die Wayuu vergessen haben nach einer Gewalteskalation, wie sie die kolumbianische Gesellschaft jahrzehntelang geprägt hat.
1968: Bei den Wayuu, die inmitten der windigen, trockenen Guijara-Halbinsel in Zelten leben, steht ein großes Fest an. Zaida feiert nach einem Jahr in der Abgeschiedenheit, dass sie zur Frau geworden ist. Auch Rapayet ist zum Fest angereist. Er will mit Zaida den „Yonna“ tanzen und flüstert ihr zu: „Du wirst meine Frau.“ Úrsula, die im Stamm für die Geschäfte verantwortlich ist, ist nicht begeistert, denn Rapayet hat außer einer Halskette nichts zu bieten. Er macht mit den Gringos, den Amerikanern, Geschäfte und schlägt sich mit seinem Freund Moisés mit Alkoholschmuggel durch. Als Brautgeld erwartet Úrsula 30 Ziegen, 20 Kühe, 5 Halsketten und zwei geschmückte Maultiere. Durch einen Zufall lernt Rapayet ein paar Amerikaner kennen, die Marihuana haben wollen und kommt durch das neue Geschäftsmodell schnell zu Geld. Zaida und Rapayet heiraten und bekommen ein erstes Kind. Die Drogengeschäfte werden sehr schnell sehr groß und der Reichtum kehrt ein. Mit dem Geld kommen aber auch die ersten Probleme: Der Ärger mit der Konkurrenz führt zu immer neuen Konflikten mit dem Nachbarstamm, die schließlich eskalieren.
Ein alter Schäfer erzählt uns die Geschichte vom Aufstieg und Fall der ersten Drogenkartelle in Kolumbien. Erzählen ist das falsche Wort: er singt sie! Wie ein afrikanischer Griot kolportiert er – von Anfang an wissend, wohin die Geschichte führt – das Schicksal von Zaida und ihrer Familie, das sich trotz aller Gangster- und Western-Motive immer mehr zu einer griechischen Tragödie entwickelt, die die kolumbianische Gesellschaft, aber auch die Entwicklung der indigenen Bevölkerung spiegelt. Bonanza Marimbera nennt man die Blütezeit des kolumbianischen Marihuana-Handels, die in den frühen 70er Jahren begann und Mitte der 80er Jahre durch die von den USA forcierten Militäraktionen gegen die Drogenkartelle verebbte, bis neue Kartelle den aufkommenden Handel mit Kokain übernahmen.
Bemerkenswert ist die Perspektive des Films, der die Szenerie nicht als klassischen Drogenmafia-Film beleuchtet, sondern immer auch einen sehr ethnologischen Blick auf das Geschehen wirft. „Birds of Passage“ zeigt, wie die Wayuu langsam aber sicher ihre Wurzeln verlieren und damit den gesellschaftlichen Halt. Damit sind die beiden Filmemacher Cristina Gallego & Ciro Guerra näher an ihrem letzten Film „Der Schamane und die Schlange“, als man zunächst glaubt. „Der Schamane und die Schlange“, der wie auch „Birds of Passage“ für den Auslands-Oscar nominiert war, zeigt in beeindruckenden, soghaften Schwarzweiß-Bildern, wie sich das Leben der Ureinwohner am Amazonas durch die Kolonialisten und den technischen Fortschritt, den sie mitbringen, verändert. In „Birds of Passage“ ist es der Kapitalismus der Amerikaner und letztlich auch deren Waffen, die den Wandel bringen. Die ehemals matriarchale Gesellschaft der Wayuu kann dem Chauvinismus der reich und militant gewordenen Männer kaum etwas entgegen setzen.
Kameramann David Gallega zeichnet diesen kulturellen Abgesang in faszinierenden Bildern, in denen Schönheit und Schrecken dicht beieinander liegen. Dass die beiden Regisseure, die erstmals gleichwertig nebeneinander inszenieren (bislang war Cristina Gallego vor allem als Produzentin für Guerra tätig), die Nebenrollen vor allem mit Laien aus der Guijara-Region besetzt haben, transportiert nicht nur Lokalkolorit, sondern zeigt auch den Respekt der Filmemacher vor ihrem Thema.
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