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Maria Montessori

Maria Montessori
Frankreich, Italien 2023, Laufzeit: 101 Min., FSK 0
Regie: Léa Todorov
Darsteller: Jasmine Trinca, Leïla Bekhti, Rafaëlle Sonneville-Caby
>> www.neuevisionen.de/de/filme/maria-montessori-144

Biografisches Drama über die pädagogische Vorreiterin

La Nouvelle Femme
„Maria Montessori“
von Léa Todorov

Geboren am 31. August 1870 im italienischen Chiaravalle, wächst Maria Montessori in eine patriarchalisch geprägte Welt hinein, deren manifestierte Widerstände sie privat und beruflich lebenslang vor Herausforderungen stellen werden. Denn: Maria Montessori ist klug, ehrgeizig und sozial engagiert. Sie wird 1892 als eine von wenigen Frauen zum Medizinstudium zugelassen und engagiert sich früh in der Frauenbewegung. Um die Jahrhundertwende wendet sie sich zunehmend der Pädagogik zu. Bald ist sie Direktorin an einem Lehrerbildungsinstitut für Kinder mit Behinderung und studiert parallel Pädagogik, Experimentalpsychologie und Anthropologie. Die Arbeit mit Kindern prägt schließlich ihre revolutionäre Lehrmethode, das Lernpotenzial der Kinder durch genaue Beobachtung und mit Liebe und Zuwendung zu entfachen. „Ich glaube, dass Kinder nicht alle gleich sind“, sagt Regisseurin Léa Todorov, die im Vorfeld schon einen Dokumentarfilm zu dem Thema realisiert hatte („Révolution École“), „und dass es eher die Aufgabe der Schule ist, sich den Kindern anzupassen als umgekehrt.“ Montessori träumt von der Entsklavung der pädagogischen Einrichtungen. Ein Ansatz, der bis heute in weiten Teilen der Welt unerhört bleibt. Eine Welt, in deren pädagogischen Konzepten das Individuum wenig Gehör findet – und erst recht nicht ein Individuum mit Behinderung.

Das biografische Drama setzt im Paris des Jahres 1900 ein, wo es zunächst der Amüsierdame Lili d‘Alengy (Leïla Bekhti) folgt. Todorov hat sie als fiktionale Figur ins Drehbuch geschrieben, um an ihr verstärkt die gesellschaftlichen Schranken der Zeit aufzufächern, der auch Maria Montessori (Jasmine Trinca) ausgesetzt ist: D‘lengy versteckt ihre geistig behinderte Tochter Tina, Montessori verleugnet ihren unehelichen Sohn Mario. Ein Versteckspiel, das gesellschaftlicher Tabus geschuldet und für die beruflichen Ambitionen beider Frauen unvermeidbar ist: Die Wahrheit, die offizielle Anerkennung des eigenen Kindes, wäre rufschädigend und bedeutete für beide das Karriereaus. Während Maria Montessori unter der Verleumdung leidet, hat Lili d‘Alengy ihre Abkehr von der eigenen Tochter längst verinnerlicht und begegnet ihr mit kühler Abneigung. So ist es nur folgerichtig, dass sie Tina an Montessoris Bildungseinrichtung abzugeben sucht. Hier begegnen sich die zwei heimlichen Mütter schicksalshaft – und verkörpern anschaulich Leid und Herausforderungen, denen ihr Geschlecht ausgesetzt ist. In einer Zeit, in der Maria Montessori sich nur durch Verzicht entfalten kann. Den Verzicht auf ein Eheleben und, als ihr größtes Opfer: die Abkehr vom eigenen Sohn.

Auch wenn Todorov ihrer Hauptfigur nur über eine Phase ihres Lebens begleitet, gelingt es ihr, Montessoris beruflichen Werdegang, ihre private Zerrissenheit und pädagogisches Ausrichtung in aller Komplexität zu spiegeln. Das funktioniert ganz wunderbar, indem die Regisseurin weniger erklärt als es vielmehr zeigt: Das pädagogische Spiel mit (echten) behinderten Kindern im Klassenzimmer oder im Freien werden ebenso intensiv in Szenerien gebannt wie Montessoris wiederholte Ohnmacht gegenüber einer konservativen Männerwelt, die selbst der modern wirkende Partner und Vater ihres Sohnes, Giuseppe Montesano (Raffaele Esposito), tief verinnerlicht hat.

Gesellschaftliche Prägung und schulische Ausrichtung gehen dermaßen Hand in Hand, dass beide Themenfelder auch in diesem Drama gleichberechtig gewichtet werden. Tabu, Freiheit, Patriarchat, Inklusion: Todorov gestaltet diese Verwebung klug, tief, berührend und mit viel Überblick. Ein lehrreiches und mitreißendes biografisches Drama über eine große, tapfere Vordenkerin, der man, bei allen Erfolgen, bis heute mehr Gehör wünscht.

(Hartmut Ernst)

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