„Es ist so da und es ist so heftig, dass man es fast anfassen kann. Wut. Meine ist so groß, dass sie nicht in mich hineinpasst. Sie droht mich von innen aufzuessen und wieder auszuspucken und wieder aufzuessen und wieder auszuspucken.“ Von den strengen Eltern abhängig, vom deutschen Bildungs- und Arbeitsmarkt abgehängt und von ihrer eigenen Planlosigkeit angenervt. So kultiviert die junge Deutsch-Türkin Hazal ihre Wut gegen alles und jeden. Gegen die eigenen Eltern, gegen ihren Freundinnen, gegen die Türken („Kanaken“) und gegen die Deutschen („Kartoffeln“). Aufgeladen mit jeder Menge Millieusprache wird hier der Versuch einer Emanzipation erzählt. Die junge Hazal versucht endlich Unabhängigkeit zu erlangen. Gerade jetzt, da sie doch nun volljährig ist und mit ihren Freundinnen den Geburtstag und das neue Leben feiern möchte. Aber mit ihrer Herkunft, ihrem Aussehen und ihrem Slang eckt sie an, wird vor einem hippen Berliner Club zusammen mit ihren Freundinnen abgewiesen und lässt ihrer Wut freien Lauf. Mit fatalen Folgen.
Es ist harter Stoff, den Fatma Aydemir, Redakteurin bei der taz und seit neustem Romanautorin, da in „Ellbogen“ zu Papier gebracht und am Dienstagabend im King Georg dar geboten hat. Nicht nur literarisch ist diese Rollenprosa mutig: Der Slang, das Setting, die Perspektive. Auch politisch birgt der Roman einiges an Sprengstoff. Und so wurden die politischen Fragen, die der Roman aufwirft, anhand von Auszügen aus dem Roman diskutiert. Natürlich ging es dabei um die Integrationsthematik. Aber gerade auch die Rolle der Frau in den deutsch-türkischen Communitys und ihre Perspektive auf die Mehrheitsgesellschaft wurden thematisiert. Die Wut, die die junge Protagonistin empfindet, die Aggressivität, mit der sie ihrer Umwelt begegnet, ist der Furor einer Verängstigten. Der verzweifelte Schutzreflex einer jungen Frau, die in keiner Welt wirklich zuhause ist: auf der einen Seite die beklemmende, sanktionierende türkische Community, auf der anderen Seite die ignorante und arrogante deutsche Mehrheitsgesellschaft. Kanaken und Kartoffeln eben. Selbst wenn die Rollenprosa, die mit ihrer teilweise zu dick aufgetragenen Millieusprache, stellenweise ins Unauthentische zu kippen droht, bleiben die hochbrisanten politischen Fragen und auch der Humor, die den Roman tragen und wichtige Denkansätze aus einer erfrischend schnoddrigen Perspektive liefern.
„Es ist eine sehr freie Reihe“, sagt Wolfgang Frömberg, Journalist und Veranstalter der „Literatur zur Zeit“-Reihe. „Wir versuchen grundsätzlich jeden einzuladen, der interessante Bücher schreibt. Oft sind gesellschaftskritische oder popkulturelle Thematiken vorhanden. Aber wichtig ist, dass man eine Konstellation hat, die funktioniert.“ Eine solche wurde mit Modaratorin Sermin Usta und Schrittstellerin Fatma Aydemir gefunden. Die große Stärke des Abends: Nicht rein literarische Themen standen im Vordergrund des Gespräches. Gemeinsam mit dem Publikum wurden Erfahrungen und Einschätzungen zur politischen und gesellschaftlichen Lage zwischen Istanbul, Berlin und Ebertplatz diskutiert. Assoziativ, demokratisch und argumentativ. „Wichtig ist mir, dass ich das hier nicht alleine mache und das Publikum und auch andere Leute, wie Sermin Usta heute, miteinbezogen werden“, sagt Frömberg. Und so schaffte man es am Dienstagabend aufzuzeigen, dass Literatur nicht ausschließlich im Elfenbeinturm der Germanistik-Seminare und Literaturhäuser ihren Platz hat, sondern nach wie vor als Anstoßpunkt für wichtige politische und kulturelle Debatten herhalten kann.
Nächste Termine: 28.10. Titanic-Chefredakteure / 5.10. Adrian Kasnitz / 12.10. Anselm Neft / 13.10. Dennis Freischlad
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