Seit 30 Jahren dreht Carmen Eckhardt Dokumentarfilme und Reportagen. Zuletzt machte die Filmemacherin mit den Kinodokumentarfilmen „Viktors Kopf“ und „Homo communis“ auf sich aufmerksam. Am Donnerstag startete ihr Film „Lützerath – Gemeinsam für ein gutes Leben“ über die Zerstörung des Dorfes Lützerath für den Tagebau Garzweiler II in den Kinos.
Frau Eckhardt, wie haben Sie den Ort Lützerath während der Dreharbeiten erlebt - und wie glauben Sie verändert Ihr Film, der gänzlich ohne Kommentare auskommt, die Sichtweise auf diesen Ort, der einerseits nicht mehr existiert, andererseits aber durch die Ereignisse und Ihren Film doch präsent ist und auch bleibt?
Als wir 2021 mit den Dreharbeiten in Lützerath starteten, wussten wir nicht, wo wir landen würden. Alle Optionen waren offen. Würde Lützerath erhalten bleiben, würde es ein Moratorium geben, in dem über den Erhalt entschieden werden würde, oder wird es zur Räumung und Zerstörung kommen. Die Stimmung war lange Zeit hoffnungsvoll.
Uns war schnell klar, es ging den Menschen nicht nur um den Kampf gegen einen der größten CO2-Verschmutzer Europas, RWE. Es ging den Aktiven darum, den Systemwandel, der von Politik und Gesellschaft gefordert wird, konkret zu leben. Wir erlebten ein Laboratorium für ein anderes Miteinander. Es wurden hierarchiefreie, nachhaltige Strukturen aufgebaut. Verschiedenste Menschen haben mitgemacht, im Camp selbst lebten überwiegend junge Menschen, und zu Besuch kamen Menschen jeden Alters. Es herrschte eine außergewöhnliche Atmosphäre von Aufbruch, Engagement und Solidarität. Wir merkten schnell, dass es das ist, was wir in den Mittelpunkt des Film stellen möchten.
Wie sehr haben die Aktivist:innen den Kampf für einen Systemwandel und gegen eine rückwärtsgerichtete Energiepolitik angeschoben?
In Lützerath haben die unterschiedlichsten Leute gemeinsam an einem Ziel gearbeitet - gegen die massive Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Dieses Ziel hat zu einer großen Solidarität geführt. Vom Landwirt Eckhard Heukamp zur Initiative „Kirche im Dorf lassen“, Menschen aus den umliegenden Dörfern, Gäste aus dem globalen Süden, Antifa, Studierende, Bürgerliche. Menschen. die normalerweise nichts miteinander zu tun haben, kamen zusammen. Diese Vielfalt konnte eine große Kraft entwickeln. Es war enorm anstrengend. Jede und jeder musste auf ihre und seine Weise aus der Komfortzone raus. Das waren spannende Lernprozesse.
Sie sind als Dokumentarfilmerin gewohnt, Menschen und auch Orte zu beobachten. Nun gab es hier zwei Besonderheiten. Einerseits gab es einen sehr konkreten Kampf à la „David gegen Goliath“, andererseits richteten sich die Aktivist:innen in dem Lützerath-Dorf ein, um es zu verteidigen. Inwiefern war dieser „Aktionismus“ auf beiden Seiten für Sie und Ihre filmische Arbeit eine Herausforderung?
Die Dreharbeiten waren eine enorme Herausforderung: Zu Beginn war es notwendig, Vertrauen zu den Leuten aufzubauen, die in Lützerath lebten. Die meisten Aktivist:innen wollten sich aus gutem Grund nicht unvermummt filmen lassen und ihr Gesicht zeigen. Viele haben die Erfahrung gemacht, wegen ihrer Proteste kriminalisiert und mit Strafanzeigen überzogen zu werden. Deshalb wollten sie nicht identifizierbar sein. In der Öffentlichkeit wird bewusst ein verzerrtes Bild erzeugt. Wir kennen die Diskreditierungen unseres Innenministers Reul von den „gewaltbereiten Extremisten“. Da geht es, wie mir scheint, eher um eine Diskurskontrolle, um fragwürdige Entscheidungen besser durchdrücken zu können. Wir haben bei unseren Dreharbeiten in Lützerath keine „gewaltbereiten Extremisten“ kennengelernt. Und wir waren mehr als 50-mal dort.
Besonders herausfordernd und risikoreich haben wir die Dreharbeiten kurz vor und während der Räumung erlebt: Wir waren ca. eine Woche Tag und Nacht in Lützerath ohne Strom und Heizmöglichkeit, ausgerüstet mit Essensvorräten, Wasser, starken Akkus für die Filmtechnik, Funkgeräten, Klettergurten etc. Der Weiler war umzäunt von einem hohen Sicherheitszaun, der den freien Zugang unmöglich machte und im Verlauf waren wir eingekesselt von der Polizei. Es hatte was von einer Belagerungssituation.
Zweimal wurde ich von Personen einer von RWE angeheuerten Sicherheitsfirma körperlich angegriffen. Am vorletzten Räumungstag war ich mit der Kamera dabei, als sich Aktive in einem Baumhaus verbarrikadiert hatten. Alle Zugänge waren zugenagelt. Kletterpolizisten mussten die Tür mit einer Axt einschlagen. Ich kam hinterher in eine polizeiliche Strafmaßnahme ohne Begründung, ein Schmerzgriff wurde angewendet - ohne Begründung. Mit-Filmemacher Gerardo Milsztein, der den größten Teil der Bilder machte, hatte den Mut, direkt zwischen die Fronten zu gehen. Er wurde umgerannt, in den Schlamm gestoßen, drohte unter die Hufe der berittenen Polizei zu geraten. Es gab wirklich gefährliche Situationen.
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