Johannes Naber studierte an der Filmakademie Baden-Württemberg Dokumentarfilm. Nach „Der Albaner“ (2009) ist „Zeit der Kannibalen“ sein zweiter Kinospielfilm.
choices: Herr Naber, „Zeit der Kannibalen“ ist ästhetisch ganz anders angelegt als der Vorgänger „Der Albaner“. Wie kam es zu dem neuen Projekt?
Johannes Naber: Für mich bedingt der Inhalt die Form. Sowohl „Der Albaner“ als auch „Zeit der Kannibalen“ sind für mich diesbezüglich konsequent. Beim „Albaner“ habe ich selbst das Buch geschrieben, bei „Kannibalen“ hatte ich mit dem Drehbuch eines anderen Autoren zu tun, das führt bestimmt zu zusätzlichen Unterschieden.
Ein filmisches Kammerspiel wie „Zeit der Kannibalen“ stellt die Filmemacher vor ganz spezielle Aufgaben. Was empfanden Sie als größte Herausforderung?
Bei einem Kammerspiel steht und fällt alles mit den Schauspielern. Daher war das Casting entscheidend und sehr schwierig. Wir haben sehr lange gesucht, bis wir die für uns perfekte Konstellation zusammen hatten. Die zweite große Herausforderung war, mit einem kleinen Budget einen Studiofilm zu realisieren. Ein Studiobau folgt klaren Regeln, und die finanziellen Spielräume sind minimal, vor allem wenn eine bestimmte Qualität herauskommen soll. Da einigen Finanziers am Ende der Mut fehlte, in das Projekt einzusteigen, mussten wir auf der technischen Seite stark improvisieren.
Die typisierte Zimmeraussicht ist vielleicht ein kostensparender Kunstgriff, aber sie scheint auch der überheblich-gelangweilten Perspektive der Hauptfiguren auf ihre Umgebung zu entsprechen…
Die Außenwelt symbolisiert das gestörte Verhältnis der Akteure zur Realität. Die wirkliche Welt ist nicht mehr wichtig. Sie ist austauschbar geworden hinter Analysen, Zahlen, sogenannten harten Fakten. Unternehmensberater handeln oft nach einem schematisierten, vereinfachten Weltbild. Nur so lassen sich ihre Tools effizient anwenden. Die komplexe Wirklichkeit stört bei dieser Arbeitsweise, darum wird sie ausgeblendet.
Auch wenn das Buch nicht von ihnen stammt, können Sie etwas zu den Hintergründen dieser Company und ihrer Mitarbeiter sagen? Wie viel Realismus steckt da drin?
Stefan Weigl hatte in seinem letzten Leben als Kreativer in der Werbebranche viel mit Kunden aus der Wirtschaft zu tun und konnte sie jahrelang studieren – vor allem ihre Sprache. Aus diesem Erfahrungsschatz resultierte der Impuls für das Drehbuch. Ich habe im Zuge meiner Recherchen mehrere Insider das Buch lesen und kommentieren lassen. Im Kern haben alle dasselbe gesagt: Auch wenn die Darstellung zugespitzt ist, sind die Charaktere und Handlungsweisen archetypisch für die Branche.
Man könnte meinen, es hat Ihnen Spaß gemacht, die Protagonisten in die Enge zu treiben. Für Mitleid scheint nicht viel Platz...
Das sehe ich anders. Die drei Helden sind Täter und Opfer zugleich. Sie unterliegen der Illusion, alles unter Kontrolle zu haben. Dabei sind sie am Ende auch nur Kanonenfutter der Globalisierung. Sie wollten vielleicht das Richtige, haben aber den falschen Weg gewählt, haben sich vereinnahmen und benutzen lassen. Es sind arme Schweine. Mein Mitleid haben sie auf jeden Fall.
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