160 zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger diskutieren, wie es mit der Demokratie weitergehen kann, darunter Menschen, die sonst eher schweigen: Bürger als Ratgeber für Politik – das basisdemokratische Experiment, das nach internationalem Vorbild im September 2019 in Leipzig realisiert wurde, zeigt das Mögliche. Am Ende entstand ein Gutachten mit 20 Vorschlägen für die Politik. Feierlich wurde es Bundestagspräsident Schäuble überreicht.
Organisiert wurde die Aktion vom Verein Mehr Demokratie. Der nächste Bürgerrat ist zum Thema Klimawandel für 2020 geplant. „Wir setzen viel Vertrauen in das Individuum und in unsere Gesellschaft“, erklärt der Kölner Politikwissenschaftler Achim Wölfel, Pressesprecher des Landesverbandes Mehr Demokratie e.V. NRW mit Sitz in Köln. Er ist überzeugt: „Wenn man den Menschen ausreichend Informationen und Zeit bereitstellt, um sich Gedanken zu machen und eine Meinung zu bilden, dann kann jede und jeder von uns vernünftige politische Entscheidungen treffen.“ Mehr direktdemokratische Beteiligungsmöglichkeiten könnten Vertrauen zurück in die Politik bringen.
Ein Ziel des Vereins sei daher seit seiner Gründung vor 30 Jahren, die Einführung bundesweiter Volksentscheide in voranzutreiben. Man verstehe sich, so Wölfel, als „die starke Stimme der Demokratie in Deutschland“. Der Verein ist in fast jedem Bundesland mit einem Landesverband vertreten und auf vielen Ebenen aktiv: Die Mitglieder organisieren Veranstaltungen und Demonstrationen, bringen Experten zusammen, betreiben Lobbyarbeit und – in Zusammenarbeit mit universitären und wissenschaftlichen Einrichtungen – Grundlagenforschung zum Wahlrecht. Ein wichtiger Baustein der Arbeit ist außerdem die Vernetzung von Demokratie-Bündnissen. Mehr Demokratie e.V. NRW berät andere Initiativen, die demokratische Verfahren wie Bürgerentscheide auf den Weg bringen möchten, in organisatorischen und juristischen Fragen – „da sind wir in NRW die Anlaufstelle Nummer eins“, meint Wölfel. Auch wenn das Ziel bundesweiter Volksentscheide noch nicht erreicht sei, könne der Verein Erfolge auf Länderebene aufzeigen: So hätten sich Regelungen für direkte Demokratie in vielen Bundesländern deutlich verbessert. Der Verein organisierte dazu 1994 eine eigene Volksinitiative, betrieb Lobbyarbeit und rief Kampagnen ins Leben, um Regelungen zu vereinfachen. Hürden wurden gesenkt und Bürgerbegehren in Kommunen und Städten so vielerorts erst möglich. Die große „Ein Europa für alle“-Demo, bei der 2019 tausende Menschen in der Kölner Innenstadt gegen Nationalsozialismus zusammenkamen, wurde im Kölner Büro des Vereins organisiert.
Ein weiteres, aktuelles Projekt: Mit dem Bündnis „NRW blickt durch“ arbeitet der Verein an einem Transparenzgesetz für NRW. Informationen sollen den Bürgern von Kommunen niedrigschwellig zur Verfügung gestellt werden. Bisher muss der Einzelne für Informationen bei Verwaltungen anfragen und Bearbeitungsgebühren zahlen.
Bürgerinnen und Bürger könnten sich in vielfältiger Weise für die Demokratie einbringen, glaubt Wölfel. Rund 10.000 Mitglieder habe der Verein bundesweit, davon etwa 1.400 in NRW. Man freue sich immer über weitere engagierte Bürgerinnen und Bürger. In NRW und auch in Köln gibt es mehrere Regionalgruppen, in denen Interessierte Veranstaltungen und Projekte zum Thema Demokratie umsetzen. Und auch bundesweit kommen Arbeitskreise zu Themen der Demokratie zusammen. Das ist es schließlich, was Demokratie ausmacht: Jede und Jeder hat die Möglichkeit, sich einzubringen – und im besten Fall geht das über ein Kreuz am Wahltag hinaus.
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