Die Nachrichten sind voll davon. Kein Tag vergeht ohne neue Schreckensmeldungen. Das Mittelmeer, einst Sehnsuchtsort deutscher Nachkriegsgenerationen, wird zunehmend zum Massengrab. Die Flucht vor Krieg, Gewalt und Armut endet allzu oft in einem ausweglosen Labyrinth. Wegschauen ist nicht mehr möglich. Und so versprechen die anstehenden Kölner Tanz-Premieren einen heißen Herbst. Eine Auswahl: bodytalk dramatisiert zusammen mit der Friedensbewegung warless day in „Fleshmob mit Toten“ die Flüchtlingsdramen der letzten Monate. Das Performance-Duo Tripletrips zeigt in „Mitos Minotauros“ auf den Sündenbock, den jede Gesellschaft braucht – und ihm auch noch opfert. Und im Hochbunker Ehrenfeld (sic!) sucht IPtanz in „Go by…“ den Kollektivschmerz in Kriegszuständen körperlich zu erfassen.
Theater, so hat es der Regisseur Hansgünther Heyme formuliert, ist per se politisch. Das Köln-Bonner Tanztheater-Ensemble bodytalk verstand sich immer schon als künstlerischer Seismograph für politisch brisante Themen. So deutlich-drastisch wie sie den Finger in die politisch-gesellschaftlichen Wunden legen, sind sie eine Ausnahmeerscheinung im Tanz. Das ist auch in ihrem neuen Stück „Fleshmob mit Toten“ nicht anders. Choreografin Yoshiko Waki und Dramaturg Rolf Baumgart fragen anhand der Biografie und ihrer Flucht aus dem Iran Solmaz Vakilpour, was eine Tanz-Compagnie mit einer Friedensbewegung verbindet – und was nicht. Rolf Baumgart: „Was können wir als Expertinnen und Experten für Bewegung, als politische Körper tun, jetzt wo das Flüchtlingserwachen in Köln angekommen ist?“
Eine andere, abstraktere Herangehensweise wählt das von den Performern Nikos Konstantakis und Markus Tomczykneu gegründete Duo Tripletrips. Im Mythos des Doppelwesens Minotauros als Sündenbock der Gesellschaft sehen sie Parallelen zur aktuellen Gesellschaftssituation mit ihren Konflikten. Wann darf ein Mensch wo sein und mit welchen Rechten? Jeder, so behaupten sie kühn, trägt ein Stück Minotauros in sich. Um diese „inneren Kreaturen“ geht es in der Performance. Man darf gespannt sein auf ihren Ausweg aus diesem Labyrinth.
In ein anderes Labyrinth führt die Video- und Tanzinstallation der Choreografin Ilona Pászthy. „Go by…“ ist ein Kooperationsprojekt mit der Videokünstlerin Julia Franken. Ausgerechnet in einem ehemaligen Hochbunker aus Weltkriegszeiten sich mit Gewalt und Schmerz, vor allem dem Kollektivschmerz in Kriegszuständen auseinanderzusetzen, ist nicht nur symbolträchtig, sondern ebenso mutig wie provokant. Frankens Bildersprache soll dazu neue Assoziationsräume eröffnen. Den „alten Geistern“ im Bunker werden ein paar neue zur Seite gestellt. So dient dieses Relikt der Choreografin auch als warnender Background für die unbegreiflichen Erfahrungen von Aggression und Gewalt und ihren Folgen.
„Fleshmob mit Toten / Die Welt im Zelt“ | 3.-5.9.20 Uhr | Jack in the Box | 0221 46 00 77 10
„Mitos Minotauros“ | 15.-19.9. 20 Uhr | Studiobühne | 0221 470 45 13
„Go by…“ | 25.-27.9. 20 Uhr | Bunker 101 | www.ip-tanz.com
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