Oft verrät das Unfertige mehr über eine Produktion als der Blick auf das gerundete Meisterwerk. Das Flow Dance Festival 2014 „möchte den Tanz sichtbar machen“, wie die Organisatoren Achim Conrad und Klaus Dilger sagen, da eignet sich eine Lecture Performance gut, um einen Blick in die Werkstatt der Choreographen zu werfen. Die in Bonn beheimateten Rafaële Giovanola und Rainald Endraß arbeiten derzeit für CocoonDance an einer internationalen Produktion, die zu großen Teilen auf der Ile de La Réunion entsteht, weil dort Simon Rouby, Filmregisseur und Animationsspezialist, sein Studio eingerichtet hat. Schaut man heute Choreographen über die Schulter, dann sieht man nicht nur Ballett-Übungen, sondern die Konfrontation mit digitalen Medien, seien sie optisch oder akustisch ausgerichtet, wird unausweichlich.
Das Sujet von CocoonDance wird Lewis Carrolls Erwachsenenmärchen „Alice in Wonderland“ sein. Ein Stoff, wie gemacht für die Bühne. Freilich braucht man ein gehöriges Stück Mut für den Trip ins Land der Scherze, Hinterhältigkeiten und der Auflösung jeglicher Logik. Auf diesem Terrain sind schon viele Inszenierungen in den Fußangeln der Sprachspiele und Absurditäten zu Fall gekommen. „Alice in Wonderland“, das ist vielleicht eher eine Methode der poetisch-gezielten Zerstörung von Sinn und Zusammenhang, als dass es sich tatsächlich um eine Geschichte handelte. Die Produktion will all das unter dem Titel „Revisiting Wonderland“ reflektieren. So kann man beobachten, wie Simon Rouby Lichtbilder herstellt, die Linie um Linie komplettiert werden. Ein Zimmer mit offenem Kamin wird gezeichnet, während die Tänzerin Laure Dupont in den Entstehungsprozess einzudringen versucht. Eine zweite Projektionsfläche mit Filmbildern gibt der Bühnenlandschaft eine reizvolle Laboratmosphäre.
Die Tänzerin bewegt sich zwischen den Bildern. Vereinzelt setzt sie Akzente mit einem Hauch von Erotik, die von den kaum verschleierten erotischen Fantasien Lewis Carrolls erzählen und die Triebfeder der Alice-Geschichte bilden. Aber oftmals bleiben ihre Bewegungen auch ein Suchen, das im Ungefähren zwischen den dominierenden Bildern verweht. Gegen die digitalen Zeichen haben menschliche Körper zumeist schlechte Chancen auf der Bühne. Tatsächlich scheint die Produktion im Überangebot von medialen Grenzüberschreitungen, die das Sujet und der Wechsel zwischen Zeichen, Filmbildern und Körperarbeit offeriert, den Kompass einer dramaturgischen Ausrichtung noch nicht gefunden zu haben.
Hoffnung für das Gelingen der Produktion bietet ein Ansatz von Jörg Ritzenhoff, der schon in diesen Werkproben mit seiner Musik viel Atmosphäre für Alices Rückreise ins Wunderland bietet. Ritzenhoff erzeugt Klänge mit zahlreichen Instrumenten, die sich in unterschiedlicher Entfernung zum Aufnahmegerät befinden. So entsteht der Eindruck eines akustischen Raums, der das Spiel mit den Bildern erdet. In jedem Fall verspricht die Produktion von CocoonDance, die in einem Jahr Premiere haben soll, eine prickelnde Herausforderung für die Tanzszene in NRW zu werden. Toll, dass Giovanola und Endraß in der Halle von Barnes Crossing diese Nähe und Offenheit gewährten, um das Publikum des Festivals an ihren intimen Arbeitsprozessen teilhaben zu lassen.
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