Dietrich Brüggemann (*1976) studierte Regie in Potsdam. Auf sein preisgekröntes Langfilmdebüt „Neun Szenen“ (2006) folgten die Tragikomödien „Renn, wenn du kannst“ (2010) und „3 Zimmer/Küche/Bad“ (2012), wofür er erneut das Drehbuch mit seiner Schwester, der Schauspielerin Anna Brüggemann, entwickelte. Das Religionsdrama „Kreuzweg“ brachte dem Geschwisterpaar auf der Berlinale 2014 den Silbernen Bären für das beste Drehbuch. „Heil“ kommt am 16. Juli ins Kino.
choices: Dietrich, was war zuerst da: Der Wunsch, eine Satire zu drehen oder einen Film über Neonazis?
Dietrich Brüggemann: Schwer zu sagen. Ich glaube eher, es war das Thema und was einem dazu in der Öffentlichkeit alles um die Ohren fliegt und flog, schon vor dem NSU-Skandal und danach. Der Film handelt auch weniger von ein paar Neonazis als von ganz Deutschland. Von diesem Elefanten, der da psychologisch im Raum steht. Das ist so der Nullpunkt der deutschen Geschichte. Alles läuft darauf zu und danach läuft alles wieder auseinander. Man kann hier nicht öffentlich sprechen, ohne die Assoziation zur Nazizeit zu haben und sich dazu zu verhalten. Da gibt es natürlich auch allerhand Hysterie. Und ganz konkret kam ich dann an einem großen Plakat von „Kriegerin“ vorbei, als ich einen ergebnisoffenen Gesprächstermin mit einem Produzenten hatte. Da hatte ich die spontane Idee: Eine Komödie mit Neonazis. Aber keine Klamotte, wo nur dumme Neonazis durch die Gegend eiern. Interessanter wäre eine Rundumschlags-Satire. Das ist etwas, was ich im deutschen Kino vermisse, schon von der Geisteshaltung her. Die bedeutet fast immer Einfühlung und Identifikation. Eine satirische Zuspitzung und Überhöhung hat man selten.
Du hast bisher ja eher lebensnahe Komödien gedreht. War es schwer, den „richtigen“ Ton für eine Satire zu treffen?
Ich habe ja in dem Sinne gar keine Komödien gemacht, das Komische war eher ein Seitenaspekt. Ich habe die Komik nicht ausgeschlossen. Jetzt war der Tonfall ein ganz anderer, aber es fiel mir überhaupt nicht schwer.
Laut Tucholsky darf Satire alles. Gibt es für dich trotzdem Grenzen?
Ja, ganz klar. Robert Gernhardt schreibt zu genau diesem Thema (in „Was gibt’s denn da zu lachen?“): „Die Satire darf vieles nicht. Sie darf keine Minderheiten diffamieren, keine Vorurteile bekräftigen, keinen Beifall von der falschen Seite riskieren. Aus diesem Grund drücken sich so viele Satiriker um so viele Themen. Satire, die sich ausschließlich gegen die da oben richtet, wird langweilig, wenn nicht entbehrlich.“ Dieses Zitat ist mir tatsächlich erst gestern begegnet, aber beim Drehbuchschreiben war die Maxime ähnlich: Alles, was Leute aus freier Entscheidung tun, ist zum Abschuss freigegeben. Darüber darf ich mich lustig machen. Über alles andere nicht.
Also war Tucholskys Diktum weder eine Richtschnur noch eine Bürde?
Wer sagt: „Ich darf alles“, sollte sich fragen: Kann ich denn auch alles? Schaffe ich es tatsächlich, überall Komik zu erzeugen? Lustig finde ich eben immer Bauchlandungen aus freier Entscheidung. Witze über Hautfarbe oder sexuelle Orientierung oder dergleichen sind einfach nicht so lustig. Was Gernhardt sagt, Beifall von der falschen Seite ausschließen, das ist allerdings leider unmöglich. Man kann nie verhindern, dass irgendein Idiot am Ende applaudiert.
Was muss Satire denn dann deiner Meinung nach leisten?
Satire ist ein Teilgebiet der Komödie, und die muss zunächst einmal komisch sein. Es gibt ja zwei Arten von Lachen: das aus Ressentiments, wie diese doofen Herrenwitze oder faschistoide Witze, die Vorurteile bestätigen, und aber auch das, wo überraschende Zusammenhänge und Analogien ans Tageslicht gebracht werden. Wovon mein Film viel handelt, ist Denken, das totalitär strukturiert ist. Ich bin nicht auf der Spur, dass ich behaupte, die Deutschen seien alle noch Nazis, und ich hole das mal zum Vorschein. Sondern, dass man seine vermeintlichen Erkenntnisse für absolut setzt. Die Idiotie des Schubladen- und Tunnelblicks feiert ja weiter fröhliche Urständ. Solche Zusammenhänge aufzuzeigen, finde ich, hat aufklärerische Qualität. Das sehe ich als konstruktive Kritik.
„Heil“ war das erste Drehbuch, dass du ohne deine Schwester Anna geschrieben hast …
Das hat sich einfach aus zeitlichen und organisatorischen Umständen so ergeben. Aber es ist mir dazu auch genug selber eingefallen. Der ganze Tonfall ist jetzt das, was dabei herauskommt, wenn ich alleine was schreibe. Ich zeigte ihr das dann manchmal und sie sagte etwas dazu, aber insgesamt ging es gut alleine.
Hat es Spaß gemacht, Anna als Nazibraut zu inszenieren?
Großen natürlich. Es war gar nicht meine erste Idee, sie zu besetzen. Mir schwebte anfangs eher so eine Art Walküre vor, ein germanisches Vollweib, auch zur Abgrenzung gegen „Kriegerin“. Das wäre auch lustig gewesen, aber mit Anna hat es noch eine andere Qualität.
War die Führung der Schauspieler generell schwieriger durch die satirische Form?
Gar nicht. Selbst ein todernster Film wie „Kreuzweg“ ist ja präzise gebaut und irgendwie auch auf Pointe hin geschrieben. Man muss einfach schauen, dass die rhetorische Gliederung und der Flow der Szene stimmen. Dazu ist es gut, wenn der Regisseur sehr genau weiß, was er will. Damit ist man dann auch offen für Improvisation und Vorschläge der Schauspieler.
Der Slogan zum Film lautet: „Eine aufregende Reise durch ein aufgeregtes Land.“ Wo steckt denn das meiste Aufregungspotenzial?
Mir fällt immer wieder auf, dass der Grundton hierzulande immer ein bisschen ungemütlich ist. Der Gegner könnte ja ein Nazi sein. Im Zweifelsfall muss man ihm das dann um die Ohren hauen. Diese Sündenbock- und Anpranger-Kultur ist ja durch das Internet, die Shitstorms, noch schlimmer geworden. Vieles von den Dialogen und Interaktionen in meinem Film ist direkt davon beeinflusst, wie Leute in Online-Diskussionen miteinander umgehen. Der Tonfall, diese bissige Kälte, einfach mal in Filmdialoge übersetzt. Ich wünsche mir schon einen zivilisierteren Umgang der Menschen miteinander. Wenn der eine oder andere sich da wiedererkennt, dann hätte das durchaus aufklärerisches Potenzial.
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