Schlau sind sie, die Yoshiko Waki und der Rolf Baumgart. In Bonn und Köln haben sie mir ihrem Ensemble Bodytalk immer wieder politischen Weitblick demonstriert. Die komplexe Problematik des Flüchtlingsthemas, das sich stets um „gute“ und „böse“ Einwanderer und die Frage dreht, wie unsere Projektionen gegenüber allem Fremden aussehen, zeigten sie in ihrer Tanz-Performance „Fleshmob mit Toten“ bevor die gesellschaftliche Diskussion darüber entflammte. Inzwischen hat das freie Leben ein Ende gefunden und Bodytalk verfügt mit dem Pumpenhaus in Münster über eine feste Spielstätte. Gleichwohl gibt es immer Tourneen und Koproduktionen, die das Ensemble in den Osten Europas führen. So entstand ein Abend mit dem Dance Theatre Aura aus dem litauischen Kaunas. Und Bodytalk ist wieder für eine Überraschung gut. So stellen sie am Ende ihrer Choreografie mit dem Titel „Glück“ eine junge Frau auf die Bühne, die die Arme ausbreitet und gewinnend lächelnd die Zuschauer auffordert, sie zu umarmen. Das Problem ist nur: Sie trägt die Uniformjacke eines russischen Majors.
In Litauen lebt man mit den Drohungen eines Vladimir Putin, der noch vor wenigen Wochen mit einem gigantischen Militärmanöver gezeigt hat, wie gerne er die baltischen Staaten „umarmen“ würde. Gewöhnlich geht es bei Bodytalk ziemlich turbulent auf der Bühne zu, die dann am Ende einem verlassenen Schlachtfeld ähnelt. Diesmal wird eine strenge Choreografie geboten, bei der man sich wortwörtlich auf des Messers Schneide bewegt, denn hier wird stilistisch in einer Mischung aus Schwanensee und Sozialistischem Realismus eine Geschichte aus der Provinz erzählt. Die Sichel wird geschwungen, mit der man die Ähren von den Halmen und die Köpfe vom Rumpf trennt. Brot wird geknetet und mit dem Teig schmiert man sich dann die Augen zu.
Die Story trägt sich in einem armen Dorf zu, das seine Neugeborenen ertränkt, um sie nicht dem Schicksal auszuliefern, später als Soldaten und Soldatenbräute enden zu müssen. Einige Kinder überleben aber und werden von einer feindlichen Macht aufgezogen. Eines Tages kehren sie zurück und die Dorfbewohner erkennen sie nicht, während sie ihren Eroberern zujubeln. Bodytalk zeigt uns eine triefend ironische Version moderner Ballettarbeit. Jubel und Befreiung vollziehen sich mit herzlichen Gesten und sind doch vergiftet, so wie der sozialistische Realismus die Menschenliebe propagiert und dann mit Arbeitslagern aufwartet. Auch darüber hat Bodytalk schon Tanztheater gezeigt.
In der litauischen Produktion „Godos“, dem zweiten Teil des Doppelprojekts, führt uns das Aura Dance Theatre dann fünf Gestalten vor, die geschlechtlich neutrale Wesen einer künstlichen Welt zu sein scheinen. Wie am Fließband produziert tanzen sie mit beeindruckender Präzision. Die Schönheit der Roboter wird von einer schwarzen Gestalt gekontert, deren entblößte Brüste überaus deutlich die Zugehörigkeit zu einem der beiden Geschlechter markieren. Die Uniformität greift das Bühnenbild mit Analogien zwischen den Mustern der Barcodes und den alten Lochstickereien auf. Chiara Corbetta tanzt als schwarze Schlangenfrau ein unerhört ausdrucksvolles Solo. Man schaut ihr zu und versteht doch nicht, wie sie die ihre eigene Eleganz aufs Parkett zaubert. Zwei Stücke, zwei Highlights, die trotz großer Unterschiede im stilistischen Verständnis des Tanzes zeigen, welches Potenzial die Zusammenarbeit von Künstlern aus NRW mit den Tanz-Kompanien Osteuropas hervorbringen kann.
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