„Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung“ ist ein Dokumentarfilm über die Gestaltung des Lebensraumes Stadt am Beispiel des Helios-Geländes mitten im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Nachdem Pläne des Grundstücksbesitzers zur Errichtung einer Shopping Mall publik wurden, bildete sich eine starke Bürgerinitiative, die Gegenvorschläge erarbeitete. Regisseurin Anna Ditges (*1978) begleitete den vielschichtigen Prozess über zwei Jahre mit der Kamera. Ihr Regie-Diplom machte sie an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) mit dem Abschlussfilm „Ich bin grad so deutsch wie Sie – Ein deutsch-russisches Familienbild“ (2002), auf den Dokumentarfilme wie „Ich will dich – Begegnungen mit Hilde Domin“ (2007) und „Ora et labora – Das Unternehmen Pöppelmann“ (2011) folgten.
choices: Frau Ditges, was erwartet die Zuschauer, wenn der Film am 19.2. in die Kinos kommt?
Anna Ditges: Schon ein besonderer Film, der ein komplexes Thema behandelt, in dem es einerseits um eine politische Auseinandersetzung geht und andererseits um ein Areal, das als Beispiel Fragen aufwirft, wie man mit Stadtplanung umgehen kann. Das Thema wird ausschließlich erzählt von Menschen, die selbst angebunden sind an diesen Prozess. Dabei entsteht auch ein Porträt unserer Gesellschaft, das Menschen aus ganz unterschiedlichen Schichten und mit anderen Hintergründen zeigt. Es ist auch ein Film über Demokratie, weil diese Menschen unterschiedliche Standpunkte haben und auch vertreten. Das macht den im Film beleuchteten Diskussionsprozess spannend. Es ist also kein Film, in dem wir zeigen, wie etwas gebaut oder abgerissen wird.
Es tauchen auch keine Texttafeln oder Erzählerstimmen auf, die einem alles erklären.
Ich wollte den Film so machen, dass er sich aus sich heraus erzählt. Deswegen bin ich dabei geblieben, auf Bauchbinden [Einblendungen zu den Personen, Red.] zu verzichten, weil ich finde, dass die Protagonisten dadurch dieses Exemplarische haben, sodass man gut Parallelen ziehen kann zu anderen Städten oder zu Menschen in ähnlichen Situationen. Da ist es dann nicht so entscheidend, welches genaue Amt jemand hat oder welchen genauen Titel. Das ist ja auch so eine Tradition, die eher vom Fernsehen kommt und immer mehr Einzug ins Kino hält, was ich schade finde. Dann schaltet man gleich den Kopf aus.
Ist es überhaupt ein großer Unterschied, ob man Dokus für das Fernsehen oder das Kino dreht?
Ich finde schon, dass man im Kino einfach eine größere erzählerische und künstlerische Freiheit hat. Und man weiß ja auch, der Zuschauer kommt in den Film, ist in einem Kinosaal und lässt sich ganz auf den Film ein. Das ist nicht wie beim Fernsehen, das ja häufig formatiert ist und wo man bestimmte Schubladen bedienen muss, die von den Redaktionen vorgegeben sind. Im Kino gibt es eine andere Art von Konzentration, und ich finde es auch toll, dass man sich nach dem Film mit anderen darüber austauschen kann. Natürlich hat auch die Bildgröße im Kino eine ganz andere Wirkung auf den Zuschauer.
Sind Sie in dieser Größe zufrieden mit dem Bild und den Farben?
Ja.
Wie haben Sie gedreht?
Ich hab mit einer HDV-Kamera gedreht. Das ist eine semi-professionelle Kamera, die aber vorwiegend im Profi-Bereich eingesetzt wird und eine Full-HD-Auflösung hat, aber auch nicht riesig ist und noch für jemanden zu bedienen, der wie ich selbst Kamera und Regie in Personalunion ausführt.
Und der Ton kam auch über die Kamera?
Habe ich auch selbst gemacht, ja, auch oft mit einem Funkmikro oder Richtmikro – eins auf jedem Kanal. Man kann die ganze Machart darauf einstellen, das alleine umzusetzen. Nur in absoluten Ausnahmefällen habe ich einen Ton- oder Kameraassistenten dabei gehabt. Es ist ziemlich viel Schlepperei.
Versammlungen allein zu filmen, muss aber ganz schön anstrengend sein.
Manchmal fehlt auch etwas, wenn man zu spät an der richtigen Stelle ist. Man muss relativ viel aufzeichnen, weil man ja nie weiß, wann was kommt. Ich behaupte nicht, dass es die beste Methode ist, aber für mich hat es sich so angeboten bei dem Projekt.
Sie sagten bei der Premiere, sie seien während der Produktion manchmal der Verzweiflung nahe gewesen. Wann war das zum Beispiel?
Was zum Beispiel bis zum Ende auf der Kippe stand war, wie viel wir über die Geschichte des Helios-Geländes erzählen. Ich habe mich dann dazu entschieden, nicht explizit darüber zu erzählen, weil es für den Plot nicht wichtig ist. Ich musste mich wirklich darauf konzentrieren, was wichtig für meine Geschichte ist. Alles, was auch noch „nice to have“ wäre, musste ich weglassen, sonst konnte ich es nicht schaffen, diesen komplexen Prozess mit diesen Figuren in den 90 Minuten zu erzählen. Länger wäre einfach zu lang gewesen, gerade auch bei so einem anspruchsvollen Thema. Da war es mir wichtiger, dass ich jede Sekunde sparen kann, um sie für die genaue Zeichnung und plastische Darstellung eines Protagonisten gewinnen zu können. Wenn man so ein Gruppenporträt macht, bleibt für den Einzelnen einfach wenig Zeit. Wissen über das Helios-Gelände braucht man nicht, um dem Film zu folgen, und kann es bei Bedarf privat nachschauen. Es geht letztlich weniger um das Gelände selbst als um die Menschen mit ihren Haltungen und all dem, was sich daran festmacht.
Wie ist Ihr persönlicher Bezug zu Ehrenfeld?
Also ich habe hier lange gelebt und arbeite hier. Ehrenfeld ist ein sehr spannendes Viertel, auch weil es so durchmischt ist. Es gibt viele Migranten, es gibt alteingesessene Kölner, es gibt inzwischen auch viele Leute, die ganz gut verdienen. Dazu gibt es viele Akademiker, Künstler, Kreative. Es ist ein altes Arbeiterviertel, das von „Gentrifizierung“ betroffen ist, sich also im Wandel befindet. Der Film erzählt davon indirekt. Wo die Umwälzung hinführt, wissen wir noch nicht, das lässt der Film auch am Ende offen. Typisch für die Gentrifizierung ist beispielsweise, dass alte Areale wie das Helios-Gelände aufgegriffen, erneuert und neu strukturiert werden. Die Frage ist dann, wie das umgesetzt wird.
Erfolgreiche Bürgerinitiativen mit dem Durchhaltevermögen der BI Helios, die bereits viel ausrichten konnte, gibt es nicht sehr viele, oder?
Es gab zum Beispiel die Bürgerinitiative „Mut zu Kultur“, die sich wiedersetzt hat gegen den Abriss des Schauspielhauses und geschafft hat, dass es restauriert wird – wobei ja umstritten ist, ob das der richtige Weg ist. Ansonsten muss man schauen, was zum Beispiel passieren wird mit Geländen wie dem Güterbahnhof Ehrenfeld oder auch dem Gelände der Dom-Brauerei in Bayenthal.
Sie kommen gerade aus Augsburg und Ingolstadt. Wie werden die Kölner Aspekte in anderen Städten aufgenommen?
Die Leute haben den Film als exemplarisch empfunden, obwohl Bayern so weit weg ist. Diejenigen, die dort mit Lokalpolitik zu tun haben, sagen: „Das ist bei uns ganz genau so. Die Erfahrung haben wir auch gemacht.“ Man hat gemerkt, dass das Thema Beteiligung und Mitgestaltung von Stadtplanung deutschlandweit wichtig ist.
Sie haben für den Film mit dem „Kleinen Fernsehspiel“ des ZDF zusammengearbeitet, waren überhaupt Doku-Redaktionen im Gespräch?
Ich habe den Film den Dokumentarfilm-Redaktionen des WDR angeboten. Als Kölner Filmemacherin ist der WDR natürlich am naheliegendsten, aber sie haben sich nicht entschieden für das Thema. Man hat mir damals gesagt: „Versuch’s doch mal beim ‚Kleinen Fernsehspiel‘.“ Das hat auch prompt geklappt. Darüber bin ich sehr froh, weil ich da tatsächlich die Freiheiten hatte und man mich sehr unterstützt hat – ich finde wichtig, dass man im Schnitt auch diskutieren kann –, aber mir die letzte Entscheidung ließ und ich den Film als freie Kinoproduktion entwickeln konnte.
Sie haben parallel noch einen weiteren Film produziert: „Mein Ehrenfeld – Unsere Zukunft“. Worum geht es darin?
Im Verlauf des Bürgerbeteiligungsprozesses um das Helios-Gelände kamen Jugendliche nicht vor, kamen nicht zu Wort oder waren nicht vor Ort. Ich fand das so schade, weil ich dachte, wir planen ja deren Stadt, deren Zukunft, nicht nur in Hinblick auf die Schule – sie müssten eigentlich viel mehr befragt werden. Ich habe dann auch gemerkt, wenn ich Jugendliche darauf angesprochen habe, dass sie konkrete Ideen haben. Ich wollte aber in meinen Film nicht künstlich Jugendliche einbauen, sondern habe mich auf die Leute konzentriert, die am Prozess beteiligt sind. Trotzdem wollte ich etwas mit Jugendlichen machen, auch weil ich es schade gefunden hätte, wenn mit der Veröffentlichung des Films meine Beschäftigung mit dem Viertel zu Ende gewesen wäre. Ich wollte etwas machen, das weiter geht und auch etwas weitergeben. Also habe ich dieses Projekt organisiert – das war super, aber auch super anstrengend!
Wir haben drei Monate lang Workshops veranstaltet und sechs Kurzfilme produziert, mit Jugendlichen von der Förderschule bis zum Gymnasium. Es sind ausschließlich Ideen der Jugendlichen, wir haben sie jeweils nur in bestimmten Bereichen unterstützt, wenn sie es wollten. Daher sind ganz unterschiedliche Arbeiten entstanden, auch weil sehr unterschiedliche Gruppen teilnahmen, hinsichtlich ihrer Schulen und Familien, Alter und Nationalitäten. Die haben toll zusammengearbeitet. Es hat einen wahnsinnigen Spaß gemacht.
Wann spielte sich das ab?
Das war auch ein bisschen die Crux für mich, denn ich hatte dann die Produktion von beiden Filmen gleichzeitig am Hals. Während ich „Wem gehört die Stadt…“ fertig geschnitten habe, ging die Akquise für „Mein Ehrenfeld…“ voll los. Da war das hier quasi ein Großraumbüro, immer waren tausend Leute da. Ich kam immer nur noch zu spät zum Schnitt oder zu Workshop-Planungen. Es war schon sehr viel, und ich bin jetzt froh, dass beide Filme fertig sind. „Mein Ehrenfeld – Unsere Zukunft“ hatte Ende November 2014 Premiere. Es fehlt mir aber noch ein Vertrieb oder Verleih. Der Film ist überraschenderweise viel zu gut geworden, um jetzt irgendwo in der Schublade zu landen. Man kann diese beiden Filme ausgezeichnet zusammen zeigen. Durch die Vielfalt und die unvoreingenommene Art der Jugendlichen, sich dem Medium Film, den Menschen und der Thematik zu widmen, ist ein buntes Mosaik herausgekommen, das total anders ist als mein Film und sich ganz anders dem Viertel nähert.
Was mit dem Helios-Gelände geschieht, ist zu einem guten Teil noch offen. Dokumentieren Sie den Prozess weiter?
Ich werde das Helios-Areal auf jeden Fall weiter im Blick haben, und wenn ich das Gefühl bekomme, es sollte eine Fortsetzung geben, werde ich wieder anfangen zu drehen.
„Wem gehört die Stadt – Bürger in Bewegung“ (Kinotermine) | wemgehoertdiestadt-derfilm.de
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