Treppe um Treppe steigt man hinauf, immerhin besitzt der Kölner Kunstsalon Veranstaltungsräume in fast allen Formaten. Einen beherbergt er auf dem Dach. Ein schmaler, langgezogener Raum, in dem die Stühle mit der Sitzfläche nach außen zeigen. Fast könnte man sich die Nase an der Fensterscheibe plattdrücken. Eine Geste, die der Abend tatsächlich noch hervorbringen wird, allerdings quetscht sich dann ein Gesicht von außen gegen die Scheibe und man sieht von innen, wie sich das Antlitz grotesk verändert. Diese Verformungen sind dann schon Ausdruck einer glühenden Verzweiflung. Samuel Beckett sperrt in „Rockaby“ seine Heldin in eine beklemmend ausweglose Situation. Ist sie eine Heldin? Ja, sie besitzt das Zeug zur Heldin, weil sie uns mitreißt in ihrem Kampf gegen den Tod, und natürlich verliert sie ihn.
Umso heroischer ihr Aufbäumen. Das klingt nach Pathos. Andrea Bleikamp hat Beckett jedoch gut gelesen, diesen Text, den der Ire 1980 gleichsam als Fingerübung für die State University New York schrieb, die ihm zu Ehren ein Symposium veranstaltete. Es handelte sich um den Monolog einer alten, schwarzgekleideten Frau im Schaukelstuhl. Andrea Bleikamp kleidet ihre Protagonistin in eine silbrig-weiße Robe, ein bisschen Cocktailkleid, ein bisschen Hochzeitskleid und außen herum das Verpackungsmaterial eines Pakets. Pragmatisch und wertvoll zugleich, ein Körper, der bald nichts mehr als träge Masse sein wird, aber jetzt ist er noch lebendig. Jetzt schlägt er noch Funken des Aufbegehrens, der Verzweiflung und der Grazie, in Intervallen, so wie das Schaukeln die Dinge in Distanz versetzt und wieder nahe zu uns heranholt.
Bibiana Jimenez, die zu Johann Kresniks Ensemble gehörte, spielt diese Frau. Eine treffliche Besetzung, vereint sie doch Schönheit und Reife in ihren Bewegungen. Indem Bleikamp die Zeichen umdreht, aus dem Schwarz ein Weiß macht, betont sie den weiblichen Aspekt des Stücks. Geschlecht ist Schicksal, Frauen sterben anders als Männer. Und während bei Beckett die Bewegung auf den schaukelnden Stuhl reduziert bleibt, sich gleichsam alles im Inneren der Sprache ereignet, drehen Bleikamp und ihr Team vom Wehrtheater das Sujet und lassen die Verzweiflung tanzen. Bewegung muss nicht stumm bleiben, sondern darf sich entäußern. Während Anja Lais den Text einspricht, agiert Jimenez in schwindelerregender Höhe über den Dächern von Raderthal. Das Publikum ist ganz nah dran an der Dramatik dieses Dialogs und dem zunächst noch fröstelnden Körper der Tänzerin. Nur das Glas ist zwischen uns, die wir in jedem Moment unsere Rolle als Voyeure spüren, und dem Kampf hinter der Scheibe. Dieses Glas wird dann auch zur Metapher der Ohnmacht, gleich einer Fliege, die im Einmachglas festsitzt, wird es für diese Frau keine Rettung geben. Das ist der Abgrund in jedem einzelnen Leben, den Beckett so entschieden auszumessen vermochte. „Rockaby“ präsentiert sich als eine starke Produktion, deren Erlebnis man in den Alltag mitnimmt.
„Rockaby“ | R: Andrea Bleikamp | Do 12.3., Fr 13.3., Sa 14.3. je 20 Uhr, So 15.3. 19 Uhr | Kunstsalon, Brühler Str. 11 | 0221 3978537
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
Im Kreisrund sind alle gleich
4. Ausgabe des Festivals Zeit für Zirkus – Tanz in NRW 11/24
War das ein Abschied?
Sônia Motas „Kein Ende“ in den Kölner Ehrenfeldstudios – Tanz in NRW 10/24
Die KI spricht mit
Franz Kafkas „Der Bau“ in der Alten Wursterei in Köln – Prolog 10/24
Supergau?
Die TanzFaktur steht wieder einmal vor dem Aus – Tanz in NRW 09/24
Kaffee, Kuchen, Stacheldraht
12. Tanz.Tausch Festival in der Kölner TanzFaktur – Tanz in NRW 08/24
Wunderbar: alles ohne Plan
„Leise schäumt das Jetzt“ in der Alten Feuerwache – Tanz in NRW 07/24
Alles über Füchse
„Foxx“ in den Ehrenfeldstudios – Theater am Rhein 07/24
Vor der Selbstverzwergung
Ausstellung zu den „Goldenen Jahren“ des Tanzes in Köln – Tanz in NRW 06/24
Freiheitskampf
„Edelweißpiraten“ in der TF – Theater am Rhein 06/24
Philosophie statt Nostalgie
Das Circus Dance Festival in Köln – Tanz in NRW 05/24
Das Unsichtbare sichtbar machen
Choreographin Yoshie Shibahara ahnt das Ende nahen – Tanz in NRW 04/24
Tennismatch der Kühe
„Mata Dora“ in Köln und Bonn – Tanz in NRW 03/24
Kommt die Zeit der Uniformen?
Reut Shemesh zeigt politisch relevante Choreographien – Tanz in NRW 02/24
Am Ende ist es Kunst
Mijin Kim bereichert Kölns Tanzszene – Tanz in NRW 01/24
Tanz auf Augenhöhe
„Chora“ in der Tanzfaktur – Tanz in NRW 12/23
Eine Sprache für Objekte
Bundesweites Festival Zeit für Zirkus 2023 – Tanz in NRW 11/23