Dani Levy, 1957 in Basel geboren, lebt seit 1980 in Berlin, wo er 1994 mit Tom Tykwer, Wolfgang Becker und Stefan Arndt die Produktionsfirma X Filme Creative Pool gründete. „Stille Nacht“ war 1996 sein erster Film unter diesem Dach. Später drehte er u.a. „Alles auf Zucker!“ (2005) und „Mein Führer – Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler“ (2007).
choices: Herr Levy, „Die Welt der Wunderlichs“ zeigt gleichsam eine Parade der psychischen Probleme unserer Zeit. Wieso hat sich Ihnen das Thema aufgedrängt?
Dani Levy: Weil es sich uns allen aufdrängt. Wir leben in einer Zeit, in der Menschen vermehrt Burnouts haben, Psychosen, Ängste oder sonst irgendwie am Leben verzweifeln. Das hat mehr mit unserem Leben zu tun als noch vor 10 oder 20 Jahren. Psychische Erkrankungen finden nicht mehr am Rande unserer Gesellschaft statt und sind Gottseidank weniger tabuisiert. Ist der Kranke heute normal oder der Normale krank?
Neurotische Figuren und verrückte Familien gab es immer wieder bei Ihnen. Nun bündelt sich das in einer Familie, in der jeder psychisch beschädigt ist.
Ja, die Familie ist ein wunderbarer Kosmos, eine Schicksalsgemeinschaft, die uns alle bewegt. Und natürlich dankbarer Stoff für Komödien. In der Familie findet auf engstem Raum gesellschaftliche Realität statt, sogar Politik, von der wir uns alle nicht wirklich lossagen können. Jeder hat eine Familie und kennt die Konflikte und Absurditäten. Für die Komödie ist die Familie ein Urquell.
Wie viel haben Sie recherchiert zu den einzelnen Erkrankungen und Zuständen?
Die ersten Drehbuchfassungen waren sehr von der Handlung der Figuren bestimmt, die sich gegenseitig das Leben schwer machten, aber die Figuren gingen mir viel zu wenig in die Tiefe. Ich spürte, dass das nicht der Film war, den ich machen wollte. Dann habe ich viel recherchiert und Gespräche geführt. Meine Schwester ist Psychologin, mein Schwager Psychiater, die Schwester meiner Frau psychiatrische Krankenschwester. Da kam viel Input und Psychiatriealltag. Die nächsten Fassungen waren dann wie eine Anatomie der psychischen Störungen – ein halber Dokumentarfilm, der nichts Komödiantisches mehr hatte. Es brauchte schließlich zehn Fassungen, um beides zusammenzubauen.
Ihre Protagonistin Mimi verhält sich wie eine typische Co-Abhängige. Ein Bild für das Schicksal (alleinerziehender) Mütter heute?
Nein, man muss nicht alleinerziehend sein, um von seiner Familie überfordert zu sein. Psychische Erkrankungen in der Familie betreffen doch alle Angehörigen. Mimi kann sich einfach nicht genügend abgrenzen, weder von ihrem Kind, noch von ihren Eltern. Frauen haben da vielleicht wirklich ein größeres Maß von Empathie, die sie einfach für solche Konflikte empfänglich machen. Die innere Reise meiner Heldin ist, dass sie einen Weg finden muss, ihre Familie nicht auszuschließen, aber trotzdem auf ihre eigene Wünsche zu hören.
Mimi sucht ihr Glück über eine Casting-Show. Eine Art mediales Äquivalent oder Strafe für die psychisch zerrüttete Gesellschaft?
So etwas wie ein Fegefeuer? Lustige Idee. Das habe ich jedenfalls nicht bewusst so geschrieben. Ich wollte vor allem ein Ziel für Mimi haben, das mit Druck verbunden ist und nicht einfach ein Ankommen am Meer oder dergleichen. Ihr Weg sollte in sich schon Probleme beinhalten. Ich hatte aber vor allem den Wunsch, einen Film über Musik zu drehen, weil sie ein wichtiger Teil meines Lebens ist und ich Musikfilme sehr liebe. Die Casting-Show war da das stärkste Motiv, das ich finden konnte, was sicher auch mit meinen Kindern zusammenhängt. Heute ist doch der Traum, über Nacht berühmt zu werden, diese Ego-Optimierung in der Öffentlichkeit, auf der großen Bühne, ein wirklich breites gesellschaftliches Thema.
Wie schwer war es, die Balance zu halten zwischen Albernheit und Absurdität auf der einen Seite und traurigem Ernst auf der anderen?
Beim Schreiben weiß ich ehrlich gesagt noch nicht, wie diese Balance am Ende rauskommt. Das ist ein Eiertanz bei der Drehbuchentwicklung. Beim Dreh ist es meine Aufgabe, den Schauspielern den Raum zu geben, sowohl Humor wie Drama zu spielen. Danach, im Schnitt, das erlebe ich fast bei jedem Film, ist es eine Achterbahnfahrt zwischen „Das ist mir zu klamottig!“ und „Das ist zu ernst!“. Erst, wenn der Film zum Publikum kommt, weiß ich, ob die Mischung stimmt. Manchmal auch erst 5 oder 10 Jahre später.
Wie wichtig ist dabei die Besetzung?
Das ist für mich ein ganz wichtiger, neuralgischer Prozess. Die richtigen Schauspieler haben in ihrer Persönlichkeit, in ihrem Charisma die Mischung aus Tragik und Komik haben, die ich suche. Das ist ein ganz persönlicher und instinktiver Prozess, den ich auch nicht wirklich erklären kann. Ich finde es wichtig, dass der Zuschauer die Möglichkeit hat – selbst wenn die Figuren ins Extreme hineinspielen – sich empathisch mit ihnen zu verbinden und mit ihnen in ihren Wahnsinn oder in ihre Konflikte mit hineinzugehen. Erst dann funktioniert auch der Humor wirklich. Wenn man lachen kann, weil man mit ihnen fühlt, weil man ihre Not spürt.
Die Wunderlichs müssen natürlich nervig und anstrengend sein, aber wo liegt da die Richtschnur, das Publikum nicht zu überfordern?
Ich glaube, ein Stück Überforderung macht einen Dani-Levy-Film aus. Das wäre nicht ich, wenn die Filme nicht auch ein bisschen anstrengend wären. Aber es stimmt: Das ist das Dilemma, in dem ich als Filmemacher stecke oder die Aufgabe meines Berufes. Ich mache eigentlich Kommerzfilme, die zu anstrengend sind für ein ganz breites Publikum. Oder zu unterhaltsam für ein Arthouse-Publikum. Das ist aber genau die Stelle, wo ich meine Filme gerne hätte. Genau das liebe ich auch an Filmen aus den USA oder Frankreich, wenn sie diesen Brückenschlag haben: Anstrengung, die so dosiert ist, dass ich sie noch als Unterhaltungsfilme genießen kann. Dass ich mit Spaß am Kino und am Leben durch den Film gehe, aber trotzdem nicht verschont werde von der Not und den Schmerzen der Figuren. Diese Gratwanderung begleitet mich schon mein halbes Leben lang. Was meinen Sie, wie das bei „Mein Führer“ war? Oder auch bei „Alles auf Zucker!“? Das ist so ein subjektiver Bereich, da kann nur mein eigener Instinkt und das, was ich gut finde, das sein, was mich führt. Alles andere ist nicht fassbar.
Im Abspann widmen Sie den Film Ihrer Mutter…
Zum einen, weil meine Mutter unmittelbar nach der Premiere gestorben ist. Sie hatte das Drehbuch, wie alle meine Drehbücher, gelesen und mochte es sehr. Sie hätte den Film gerne noch gesehen. Der andere Auslöser war, dass meine Mutter schon irgendwie eine Mimi-Problematik hatte. Sie war mit uns Kindern faktisch alleinerziehend, weil mein Vater als Arzt im Alltag sehr wenig präsent war. Wir Kinder sind dadurch nicht weniger anstrengend gewesen. Die Eltern meiner Mutter kamen als jüdische Flüchtlinge aus dem Nazi-Deutschland in die Schweiz, das war noch mal eine ganz eigene Familienaufstellung. Sie hatte also in gewisser Weise viel von Mimi auf ihren Schultern.
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