Sönke Wortmanns (*1959 in Marl) Komödie „Der bewegte Mann“ (1994) war mit mehr als 6,6 Millionen Kinozuschauern der erfolgreichste deutsche Film seiner Dekade. Der Drehbuchautor, Regisseur und Produzent („Little Shark Entertainment“) brachte schon mit seinem Fußballepos „Das Wunder von Bern“ (2003) und dem WM-Dokumentarfilm „Deutschland. Ein Sommermärchen“ (2006) Stimmungsbilder des Landes ins Kino. Bei dem Kompilationsfilm-Projekt „Deutschland. Dein Selbstporträt“ war er künstlerischer Leiter.
choices: Herr Wortmann, wieso haben Sie freiwillig auf den schöpferischen ersten Part der Regiearbeit verzichtet?
Sönke Wortmann: Die anderen Teile der Arbeit kenne ich ja lange genug, so dass das eine tolle Abwechslung war.
War die Arbeit eher angenehm oder stressig?
Es war total angenehm, denn es war neu und aufregend. Und man spart sich ja auch eine Menge Arbeit. Man schreibt kein Drehbuch und führt Regie, sondern versucht, aus dem was da kommt, etwas möglichst spannendes zusammenzuschneiden.
Waren die drei Leitthemen (Glück, Angst, Deutschland) bei den Einreichungen gleich gewichtet? Hat jeder etwas zu jedem geliefert?
Nein, gar nicht. Es war ja auch keine Pflicht, sich daran zu halten. Wir dachten: Wer Lust hatte, mitzumachen, aber den Einstieg schwierig fand, dem könnten die Themen helfen. Das war auch so. Etwa ein Drittel der Einsendungen hat sie behandelt, aber auch bei denen haben wir uns nicht nur darauf konzentriert. Das war nur eine Hilfe, um überhaupt anzufangen.
Und war bei diesem Drittel ein Thema präsenter als die anderen?
Erstaunlicherweise haben die dann alle drei Themen behandelt. Das war für mich schön, denn ich wollte ja eine gewisse Realität dieses Landes an einem bestimmten Tag abbilden. Es ist ein Film entstanden, der so verschiedenartige Beiträge hat, wie dieses Land auch verschiedenartig ist.
Also gab es keine Tendenz zum Positiven oder Negativen.
Das kann man so nicht sagen. Es gibt Leute, die finden das Land ziemlich doof und andere, die finden es ganz groß. Und viele sehen beide Seiten.
Demnach haben Sie nicht für einen Ausgleich gesorgt?
Genau, weil wirklich alle Schattierungen vorkamen. Man muss natürlich gewichten. Es war meine Aufgabe, zu erspüren, wie das Land denn wirklich tickt, zumindest an diesem Tag, in allen seinen Facetten. Ein schönes Beispiel sind Flüchtlinge und Asylanten. Das Thema war natürlich nicht so präsent wie dieses Jahr, aber es gab auch da schon beide Haltungen: „Herzlich willkommen!“ und auch die kritischen Stimmen. Weil beides vorkam, wollte ich auch beides vorkommen lassen. Ich habe mir auch schon angehört, das sei zu politisch korrekt und ausgewogen. Aber wenn man eines weglässt, stimmt es ja nicht. Unter dem Strich ist nun ein Querschnitt dessen zu sehen, was wir eingesendet bekommen haben.
Gab es viel Indiskutables, was gleich aussortiert werden musste?
Viel war es nicht, aber ich selbst war in der ersten Phase des Aussortierens auch noch nicht dabei. Manchmal scheiterte es schon am Technischen, wenn das einfach zu schlecht war. Es gab auch einige hochinteressante und berührende Geschichten, wo Menschen teilweise eine halbe Stunde ihr Leben erzählt haben, aber das ließ sich nicht auf zwei Minuten kürzen. Das wären Geschichten für einen eigenen Film gewesen. Wir hatten letztendlich eine Rohfassung von viereinhalb Stunden.
Hatten Sie keine ästhetische Angst, vor Handybildern auf der großen Leinwand?
Nein, ich finde, daran hat man sich inzwischen gewöhnt. Im Spielfilm selbst würde ich es nicht machen, weil die Leute da – auch zu Recht – einen optischen Genuss erwarten. Der kann durch so ein Format aber trotzdem entstehen. Wir hatten ja online auch formuliert, wie gefilmt werden sollte und wie nicht. Ans Kino denken, Querformat benutzen zum Beispiel. Das haben manche trotzdem nicht gemacht, und wir dachten eigentlich, sie hätten keine Chance, es in den Film zu schaffen. Aber manchmal waren dann die Emotionen doch wichtiger. Wenn eine Geschichte so stark ist, dass einen das Format nicht stört, dann hat sie eine Berechtigung, in den Film zu kommen.
Es sind ja auch professionelle Inszenierungen zu sehen. Haben Sie nachgedreht?
Nein, überhaupt nicht. Alles was Sie sehen, ist eingereicht worden. Die Ästhetik der Einreichungen war einfach so unterschiedlich wie auch dieses Land. Wir wollten nichts ausschließen, auch nicht die technisch besonders guten Beiträge. Da kann sich das Auge ja im Vergleich zu eher wackligen Handybildern mal ein bisschen ausruhen.
Was sagt so eine Momentaufnahme aus über Deutschland?
Mein Eindruck ist, dass viele Leute sehen, wie gut sie es in ihrem Leben in diesem Land vergleichsweise getroffen haben. Das finde ich schön und hätte ich so nicht erwartet. Ich hätte gedacht, dass mehr Menschen unzufrieden sind und rumnölen. Was mir sehr imponiert hat, war wie manche Leute mit ihrem Schicksal umgehen, etwa mit einer schweren Krankheit. Mich hat vieles bewegt in dem Film. Das darf ich sagen, weil ich ja nicht der Regisseur war.
Selbstporträts erzählen – wie auch Autobiografien – nicht unbedingt die Wahrheit …
Ich glaube, dass es keinen authentischeren Film gibt. Dass manche Leute dabei sind, die sich inszenieren – warum nicht? Es widerspricht ja nicht dem Ganzen. Inszenierung ist ein Teil der Realität. Und immer, wenn man eine Kamera anmacht und zu jemandem sagt, geh mal von links nach rechts, dann ist das eine Form der Inszenierung.
Man sieht ja im Film vieles, was auch die sozialen Medien täglich liefern. Warum sollte man dafür trotzdem ins Kino gehen?
Weil er ein großes Thema hat, nämlich Deutschland. Die sozialen Medien so weit gefächert. Aber dass an einem bestimmten Tag ein Bild eines Landes entsteht, finde ich schon außergewöhnlich. So einen Film sollte man eigentlich alle fünf Jahre machen, um zu sehen, wie sich das Land verändert.
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