choices: Frau Frenzel, was können Jugendliche im Ausland lernen, was sie nicht auch hier lernen könnten?
Tasja Frenzel: Es geht bei Auslandsaufenthalten von SchülerInnen nicht nur darum, die Karrierechancen durch bessere Fremdsprachfähigkeiten zu verbessern – es geht in erster Linie um Persönlichkeitsentwicklung. Jugendliche sind nach ihrer Zeit im Ausland deutlich gereifter, selbstständiger und selbstbewusster. Sie mussten Höhen und Tiefen meistern wie zuhause, nur mussten sie diese auf sich selbst gestellt bewältigen, hatten nicht immer die Eltern in greifbarer Nähe, die ihnen Beistand leisten konnten. Sie mussten neue Freunde finden, sich in einer fremden Kultur und in einem anderen Schulsystem zurechtfinden.
Eine neue Schule ist kein Stolperstein?
Viele Jugendliche im Alter von etwa 16 Jahren kämpfen mit einer gewissen Schulmüdigkeit. Da kann ein Auslandsaufenthalt frischen Wind in die Schullaufbahn bringen. Im Ausland kann man auch ganz andere Fächer wählen. Besonders in den Naturwissenschaften wird oft praxisbezogener unterrichtet. In Chemie und Physik führen die SchülerInnen selbst viel mehr Experimente durch. In Kanada zum Beispiel werden pro Halbjahr vier Fächer unterrichtet. Es gibt dort an Oberschulen zum Beispiel die Möglichkeit, das Fach „Theater“ zu wählen. Das ist für deutsche Jugendliche natürlich eine großartige Chance, die fremde Sprache zu lernen. Man erarbeitet ein Theaterstück in der Gruppe und führt dieses zum Schluss öffentlich auf. Die Schulen sind oft auch viel besser ausgestattet.
Das angloamerikanische Schulsystem ist also besser als das deutsche?
So würde ich das nicht sehen. Das deutsche Schulsystem hat auch viele Vorteile. Hier werden die Jugendlichen mehr nach ihrer eigenen Meinung gefragt und können viel mehr diskutieren. Die deutschen Gäste haben an unseren Partnerschulen ein wenig den Ruf, dass sie alles in Grund und Boden diskutieren. Grundsätzlich ist es aber doch eine gute Eigenschaft, Dinge zu hinterfragen.
Ist das Schulsystem im Ausland strenger?
Nein, im Gegenteil. Es gibt zwar viel mehr Regeln als bei uns, die SchülerInnen empfinden die Atmosphäre an den Schulen jedoch als freundlicher. Der Kontakt zu den Lehrern ist oft enger, auch schon mal freundschaftlich, und bleibt sogar gelegentlich über den Aufenthalt hinweg bestehen. Die Lehrer in angelsächsischen Ländern haben ein anderes Verständnis von ihrem Beruf. Solange der Jugendliche etwas noch nicht verstanden hat, hat der Lehrer seinen Job noch nicht beendet. Viele deutsche Lehrer vermitteln ihren Stoff und wer ihn nicht versteht, muss sich woanders Hilfe holen oder scheitert.
Ist ein Auslandsaufenthalt für Schüler nur etwas für Kinder von reichen Eltern?
Tatsächlich kostet ein Auslandsaufenthalt viel Geld. Die günstigsten Programme fangen an ab etwa 8000 Eurofür ein Schuljahr an einer öffentlichen Schule in den USA inklusive Flug und Aufenthalt. Man muss nicht superreich sein, aber das ist natürlich erst einmal viel Geld. Wenn man eine Privatschule in Kanada wählt, kann ein Jahr über 20.000 Euro kosten. Manche Familien kratzen das Geld mühsam zusammen, weil sie von der Sinnhaftigkeit des Auslandsaufenthaltes ihres Kindes überzeugt sind. Da springen Großeltern auch schon mal ein. Die Wenigsten zahlen das mal eben aus der Portokasse.
Vermitteln Sie nur Gymnasiasten?
Viele SchülerInnen kommen inzwischen auch von Gesamtschulen, manche auch von Realschulen.
Wie viele Jugendliche gehen überhaupt ins Ausland?
Deutschlandweit sind 18.500 SchülerInnen im vergangenen Jahr für mindestens drei Monate ins Ausland gegangen. Durch die Einführung des Abiturs nach 12 Schuljahren gab es eine gewisse Unsicherheit, die auch kurzfristig zu einem Rückgang führte. Das Interesse ist ungebrochen. Wir erleben aber, dass sich mehr Jugendliche für einen kürzeren Aufenthalt anmelden.
Müsste nicht das Land NRW die Kosten für solche Programme übernehmen?
Komplett übernehmen sicherlich nicht. Aber es gibt Beispiele für staatliche Förderungsmöglichkeiten: Der Stadtstaat Hamburg hat zum Beispiel in der Vergangenheit unter bestimmten Voraussetzungen einen Zuschuss zum Auslandsaufenthalt von SchülerInnen geleistet. Begründet wurde dies mit dem Argument, dass ein Jugendlicher in dieser Zeit das Recht auf Bildung im eigenen Land nicht wahrnimmt und damit weniger Kosten verursacht. Ob NRW als Flächenland und bei der bekannten Haushaltslage so etwas leisten mag, steht auf einem anderen Blatt.
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