The Act of Killing
Dänemark, Norwegen, Großbritannien 2012, Laufzeit: 115 Min., FSK 16
Regie: Joshua Oppenheimer (II), Christine Cynn
Darsteller: Anwar Congo, Haji Anif, Syamsul Arifin
>> www.theactofkilling.de/
Erschreckendes Psychogramm über einen Genozid
Massenmörder in Musicals
„The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer
Eine idyllische Berglandschaft mit Wasserfall: Adrett gekleidete junge Frauen tänzeln durch die Landschaft und singen ein Lied. Dann wird einem alten Mann in schwarzem Anzug eine Medaille verliehen. Denjenigen, die diese Medaille überreichen, sind Drahtschlingen um ihre Hälse gelegt. Und sie sagen zu dem Mann: „Wir danken dir, dass du uns umgebracht hast … wir danken dir tausendfach“.
Indonesien 1965: Nach einem den Kommunisten in die Schuhe geschobenen Putschversuch gegen den amtierenden Präsidenten Sukarno nutzen General Suharto und Teile der Armee die Gunst der Stunde und reißen die Macht an sich. Bis 1967 ist Sukarno nur noch auf dem Papier Präsident, die folgenden 30 Jahre führt Suharto die Militärdiktatur in Indonesien an. Mit Hilfe von Paramilitärs ging er 1965 gegen die chinesische Minderheit in Indonesien vor, stellte sie unter Generalverdacht, Kommunisten zu sein, und legitimierte damit den Genozid an 500.000 bis 3 Millionen Menschen. Es wurden KZs errichtet, es wurde gemordet und gefoltert und einer chinesischen Identität per Gesetz die Basis entzogen. Die Führer der paramilitärischen Einheiten, die den Pogrom selbst „Musim Parang“ („Saison der Hackmesser“) nannten, leben noch heute, und sie werden vielerorts verehrt. Die damaligen Paramilitärs gehören zu den größten nichtstaatlichen Vereinigungen des Landes und arbeiten immer noch eng mit der Regierung zusammen.
Mörder spielen Mörder
Auf dieses Szenario stößt der amerikanische Dokumentarfilmer Joshua Oppenheimer im Jahr 2002. Er arbeitet an einem Film über die Ausbeutung der Arbeiter auf Palmölplantagen in Indonesien und stößt dabei auf die Familien der Opfer der Massaker von 1965. Bei dem Versuch, dieses neue Thema anzugehen, stößt er schnell auf Widerstände – durch Politiker, Firmen und sogar NGOs. Denn sie alle waren in die Massaker und das darauf folgende Unrechtsregime involviert. Oppenheimer entscheidet sich, das Konzept des Films auf den Kopf zu stellen. Denn im Gegensatz zu anderen Genoziden in Deutschland, Kambodscha, Ruanda oder Südafrika sind die Täter noch an der Macht, müssen nichts leugnen, sich nicht herausreden – sie können sich sogar mit ihren Taten brüsten. Als Oppenheimer mit einigen Tätern Kontakt aufnimmt, um mit ihnen über ihre Gräueltaten zu sprechen, stehen plötzlich alle Türen offen: Bereitwillig geben sie Auskunft, stellen lächelnd ihre Tötungstechniken nach, um schließlich mit Oppenheimer zu vereinbaren, dass er mit ihnen einen Film macht, der ihre Taten so grausam darstellt, wie sie in Wirklichkeit waren, damit ihre „ruhmreiche Vergangenheit“ nicht in Vergessenheit gerate. Oppenheimer entwickelt mit den Mördern ein Filmkonzept und unternimmt mit ihnen vor abenteuerlichen Kulissen und in selbst gestalteten Szenen einen surrealen Trip nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Psyche von Massenmördern, die sich keiner moralischen Autorität unterordnen müssen. Je weiter der Drehplan voranschreitet, desto deutlicher wird auch der heute noch ungebremste Einfluss von jenen Mörderbanden der Vergangenheit und deren Ahnen, die als organisierte Verbrecher die Politik und das gesellschaftliche Leben Indonesiens fest im Griff haben.
Das Unfassbare nachstellen
Indonesien gilt vielen im Westen als Vorzeige-Demokratie. Seit Suharto nach 30 Jahren Militärdiktatur im Jahr 1998 abgetreten ist, hat sich das Land langsam zu einem Mehrparteiensystem entwickelt und ein rasantes Wirtschaftswachstum erlebt. Das Land mit der viertgrößten Bevölkerung der Welt und der größten muslimischen Bevölkerung gilt bei westlichen Politikern als Hoffnungsträger, wenn es darum geht, der Radikalisierung des Islam etwas entgegenzusetzen. Das passt nicht so recht zu den Bildern von „The Act of Killing“. Wenzel Michalski, der Direktor von Human Rights Watch Deutschland, hat eine Erklärung: „Indonesien ist für westliche Länder das neue China, sie erhoffen sich dort eine gewinnbringende wirtschaftliche Zusammenarbeit. Daher wird mit strategischem Schweigen über Menschenrechtsverletzungen hinweggesehen“, sagte er noch vor wenigen Monaten.
„The Act of Killing“ durchbricht mit seinem erstaunlichen Konzept dieses internationale Schweigen, und die Gangster – wie sie sich nennen – sind geradezu dankbar dafür. Die Inszenierung der Mörder in Klischees aus amerikanischen Genrefilmen entspricht dem Wunsch der Täter, aufzutreten wie ihre Filmhelden. Denn die jugendlichen, antikommunistischen Gangster, die sie in den 60er Jahren waren, fühlten sich von amerikanischen Genrefilmen inspiriert. Oppenheimer greift ihren Wunsch auf. Was wie das fragwürdige Mittel des Reenactment aussieht, das in Dokumentarfilmen üblicherweise das Geschehene erinnern und Stimmungen beim Publikum erzeugen soll, funktioniert hier anders: Das Nachspielen erzeugt die Stimmungen bei den Tätern und kommt schließlich dem ganz nah, was in den Tätern vorgeht. Nicht zuletzt, wenn die Mörder die Rollen tauschen und ihre eigenen Opfer spielen. Dass Oppenheimer, sein internationales Filmteam und vor allem die anonym bleibenden indonesischen Helfer in der Filmcrew für diesen grandiosen Film permanent ihr Leben riskiert haben, ist neben diesem Konzept, das so Unglaubliches zum Vorschein bringt, fast nur noch eine Randnotiz.
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