Das Schicksal der Städte entscheidet über unsere Zukunft. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett rät, bei der Planung der Stadtgesellschaft nicht auf architektonische Großprojekte zu setzen, sondern die Erfahrungen und Wünsche der Bürger im Ohr zu behalten. Alles hängt davon ab, wie wir miteinander auskommen, immerhin bringt jeder seine Geschichte ein. Und die Geschichten der postkolonialen Epoche erzählen von Unterdrückung und Gewalt, viele Rechnungen der Vergangenheit sind noch nicht beglichen. Keine leichte Aufgabe, gemeinsame Plattformen des Zusammenlebens zu finden. Es gibt Machtverhältnisse, die sich allerdings auch verändern können. Die neue Produktion des belgischen Choreographen Wim Vandekeybus, die er am ersten und zweiten Februar im Depot 1 des Schauspiel Köln präsentierte, trägt den Titel „TrapTown“ und zeigt uns eine Stadt, die wie eine Falle aussieht. Auf einem großen Screen erkennt man ein Labyrinth ohne Ausgang, in dem die Menschen wie in einem Kaninchenstall leben. Tatsächlich spricht ein riesenhaftes Kaninchen mit den Menschen, die nun winzig wirken. Damit schlägt Vandekeybus ein Leitmotiv seiner Inszenierung an, die in vielerlei Varianten von Dominanz und Unterwerfung spricht, wie sie nicht alleine zwischen Männern und Frauen oder Europa und Afrika herrschen. Auch wenn das Geschehen in einen mythischen Kontext eingebettet wird, erzählt das Stück doch in jedem Moment von unserer Gegenwart.
Es handelt von einem jungen Mann – der von einer Frau getanzt wird – dessen Vater als Bürgermeister über die Stadt gebietet. Macht ist das eine Thema dieses Stücks, Scham das andere. Die Stadt funktioniert nur, weil ein Volk das andere unterdrückt. Dafür muss nun Abbitte geleistet werden, meint der Held. Ein klassischer Fall von Political Correctness wird gefordert. Was Vandekeybus von demonstrativen Demutsgesten hält, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass die Bemühungen des jungen Helden furchtbar scheitern und einer Gruppe von Kindern das Leben kosten. Das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen, das zeigen auch die Tanzpassagen mit ihrem unaufhaltsam voran drängenden Elan. Vandekeybus‘ Ensemble Ultima Vez verströmt wieder einmal eine Energie, die über mehr als zwei Stunden nicht versiegt. Die Kraft und Entschlossenheit der Kompanie erhält mit der Musik von Trixie Whitley und Phoenician Drive auch ruhige Momente. Wobei Vandekeybus sowieso in der Lage ist, Szenen zu entwickeln, in denen das Nachdenken getanzt wird. Diesmal geht es weniger poetisch und weniger melancholisch zu, dafür wirkt alles kämpferischer und politischer. In seinen Botschaften zeigt sich der Belgier stringent aber auch weniger tiefgründig.
Zu einem bedeutenden Werk wird „TrapTown“ durch den Umgang mit den Medien. Auf einer Bühne wirken sich Filmbilder oftmals fatal aus, da sie unsere Aufmerksamkeit sogleich von Tänzern und Schauspielern abziehen. Vandekeybus‘ Erfahrung verhindert diesen Effekt, seine Filmbilder stehen im unmittelbaren Dialog mit den Tänzern. Die Menschen im Film schauen den Tanzenden auf der Bühne zu, beobachten sie und sprechen mit ihnen. Ja, die Tänzerinnen klettern sogar in die schwindelerregende Höhe der Bilder hinein. Längst ist das nicht mehr bloß ein Tanzstück, sondern vielmehr ein multimediales Kunstwerk, das die Zuschauer dazu inspiriert, die Welt anders zu denken. Die mythologischen Bezüge nutzt Vandekeybus dabei als Instrumente, mit denen die Kräfte durchschaut werden können, die in der Gegenwart am Werk sind. Stets befindet man sich im Status des Experiments; das macht auch „TrapTown“ zu einem Erlebnis.
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