Mit „Lazarus“ – eine Anspielung auf jene Bibel-Figur, die Jesus zum Leben erweckt – hat sich David Bowie sein eigenes Requiem auf den Leib geschrieben, eine musikalisch-philosophische Meditation über seinen bevorstehenden (Krebs-)Tod. Basierend auf Walter Tevis Roman „Der Mann, der vom Himmel fiel“, entwickelten Bowie und der irische Dramatiker Enda Walsh die Figur des androgynen Außerirdischen Thomas Newton weiter, der nicht zurück kann zu seinem Heimatplaneten und nun im Fegefeuer zwischen Leben und Tod festsitzt, während seine irdischen Weggefährten altern.
Im silber-bläulich glänzenden Anzug und auf klobigen Plateau-Schuhen spielt der norwegische Sänger, Komponist und Performer Hans Petter Melø Dahl die Hauptrolle. Aber nur wenn Dahl durch das, an Science-Fiction-Filme erinnernde, imposante Bühnenbild (Volker Hintermeier) und die aufwendigen Video-Installationen (Stephan Komitsch, Roman Kuskowski) stakst und Bowies Songs anstimmt, kommt ein wenig authentische Pop-Atmosphäre auf.
Ansonsten ist es eher ein die Poesie des Sterbens beinahe krampfhaft beschwörendes, Grenzen verschwinden lassendes, Rätselspiel, zwischen Realität und wahnhaften Kopfgeburten. Eine nachvollziehbare Geschichte entwickelt sich dabei nicht. So sind die 17 wunderbaren Bowie-Songs, von denen er vier extra für das Musical komponiert hat („Lazarus“, „Killing a Little Time“, „No Plan“, „When I Met You“) und ihre kongeniale Instrumentierung durch die achtköpfige Band unter der Leitung von Heinz Hox die wirklichen Stars des Abends, an dem das begeisterte Publikum vor allem seine eigenen Erinnerungen an eine immer unnahbar und rätselhaft erscheinende Pop-Ikone feiert.
Auf Video-Installationen (Gudrun Barenbrock) setzt auch „Für mich soll´s rote Rosen regnen“, die erste Inszenierung des Co-Intendanten der Kölner Kammeroper an seiner neuen Wirkungsstätte in Pulheim. Aber sie verkommen in seiner liebevollen Hommage an Hildegard Knef nicht zum selbstverliebten Beiwerk, sondern erzählen ein Stück deutscher (Musik-)Geschichte. Von Hildes Nachkriegserlebnissen im zerstörten Berlin hin zum Skandal wegen ihrer sekundenkurzen Nacktszene in „Die Sünderin“ (1950), der mehr Demonstranten auf die Strasse trieb, als es später die 68er-Bewegung schaffte. Von ihrer Hollywood- und Broadway-Karriere, dem Aufstieg zur „größten Sängerin ohne Stimme“, wie Ella Fitzgerald sie einmal nannte, bis hin zu ihrem Kampf gegen den Krebs.
James Edward Lyons Libretto lässt zwei Schauspielerinnen in die Rolle des Stars schlüpfen: die 50-jährige Knef (Ulrike Johanna Jöris) trifft auf die junge Hilde (Wibke Wittig). Beide füllen ihre Figur mit jenem Charisma aus, das uns an der Knef so faszinierte. Und auch gesanglich treffen sie in den von William Ward Murta arrangierten Chansons den Knef-Ton, ohne ihn zu kopieren. Der von einer Combo der Kölner Symphoniker (Leitung: Thomas Aydintan) kongenial begleitete Abend wird so zu einem ebenso unterhaltsamen wie berührenden Erlebnis.
„Lazarus“ | Düsseldorfer Schauspielhaus | nur Restkarten | 0211 36 99 11
„Für mich soll's rote Rosen regnen“ | Fr 23.3. 19.30 Uhr, Zusatzvorstellung: 24.3. 19 Uhr, WA im Herbst | Kammeroper Köln | 02238 956 03 03
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