Die Stadt Köln platzt aus allen Nähten. Nein, nicht wegen der Geflüchteten, des Autoverkehrs oder des E-Roller-Chaos, nicht wegen lichtscheuen Gestalten an den Dealer-Brennpunkten. Sondern wegen der Massierung von Veranstaltungen zum Offenbach-Jahr, denn jede erdenkliche Location in und um Köln wurde genutzt bis nach Paris, Berlin und Aachen. Auch viele VIPs mussten herhalten, vom NRW-Ministerpräsidenten, dem Kölner Kardinal, der Oberbürgermeisterin bis hin zur NRW-Kultusministerin; dazu eine aufwändig gestaltete Webseite. So ehrenwert die eigens gegründete Offenbachgesellschaft mit ihrem „Motor“ Claudia Hessel auch agiert, dem Vernehmen nach stellt sich auch bei vielen kulturengagierten Kölnern eine gewisse Sättigung ein. Kein Wunder bei knapp 250 Terminen an fast ebenso vielen Orten. Zumal auch noch die Pressekonferenz über den zweiten Teil des Offenbach-Jahres mit circa 80 weiteren Produktionen ansteht.
Auch das in Köln hoch angesagte Orangerie-Theater war mit dem Stück „Invasion“, im Programm „Ein Stück Tanz für Offenbach“ genannt, mit im Boot – eine Auftragsarbeit der Offenbachgesellschaft und das einzige Ballettstück des Jahres. Nun hat Offenbach berühmte Tanznummern wie Cancan und die Barcarole aus „Hoffmanns Erzählungen“ geschrieben, aber „für“ Offenbach?
Das Stück mit sechs Tänzern, aufgeführt am 28. und 29. August, spielte auf dem großen, mit einem Teppich wie ein Laufsteg abgedeckten Theaterboden, die Zuschauertribüne ist abgebaut, dafür sitzen die Zuschauer in zwei Reihen an drei Seiten ringsherum. In der Ecke die beiden Profi-Cellistinnen Katharina Apel-Hülshoff vom Gürzenich-Orchester und Anja Schröder von den Duisburger Philharmonikern, gegenüber die Technik für den elektronischen Sound von Stefan Bohne und das sehr vielfältig eingesetzte Licht.
Die Tänzerinnen und Tänzer begrüßten die Besucher beim Eintreten. Mit Cancan fing es schon mal an, einer der Tänzer hielt ein Schild mit der Aufschrift „Ouvertüre“, davor tanzte eine Kollegin zu dem berühmten Thema. Danach kamen zahlreiche mannsgroße durchsichtige Plexiglas-Platten ins Spiel. Sie wurden getragen als Schutzschilde, wie ein Trennmedium, als Waffen im Kampf, oder auch nur aus optisch-ästhetischen Gründen oder als symbolische Sphären, solo oder auch in Gruppen als Pas de deux.
Nun bedeutet Invasion zunächst das Eindringen fremder Mächte in ein Staatsgebiet; der Zuschauer fragt sich vorsichtig, was das mit Offenbach zu tun hat. Der Choreograf Emanuele Soavi, in Rom geborener Tänzer und seit Jahren international wie auch in der Kölner Tanzszene mit seiner „Incompany“ erfolgreich verankert, so auch im Klassischen mit Cantus Köln, fasst sein Stück sehr weit: Nicht als „Vertanzung“ des Operetteninhalts, sondern um das Eindringen in die Welt des Partners, als aggressive Politik gekennzeichnet durch angeklebte Bärte – typisch für Diktatoren aus aller Welt – zuletzt allerdings als Offenbach, vielleicht wie ein früher Musikdiktator. Eine symbolisierte Modenschau von Models mit völlig ausdruckslosen Gesichtern auf dem Catwalk war eine beklemmende Demonstration der Macht von Modeschöpfern und ihren teuer verkauften Markenklamotten.
Erwähnt werden müssen noch die beiden Musikerinnen. Offenbach war ja ein exzellenter Cellist, die ausgesuchten Stücke, perfekt dargeboten, passten hervorragend zu den Tanzformationen; dazu die interessanten Klangwolken von Stefan Bohne, studierter Theatermusiker, Sounddesigner und Chef des Kölner Artheaters.
Emanuele Soavi hatte alle Operetten Offenbachs, nicht nur „Le voyage dans la lune“, basierend auf dem Roman von Jules Verne, nach einer persönlichen Mitteilung sehr häufig angehört, dann allerdings nur den Mond-Titel, nicht aber den Inhalt für sein Tanzstück gewählt, wenngleich zu Beginn ein lauter Raketenstart unüberhörbar ist, die Mondlandung symbolisiert wird mit dem bekannten großen Schritt für die Menschheit und der berühmten waagerecht hängenden US-Fahne. Zentrum sind die Beziehungen der Tänzer untereinander, die Fragilität des Verhältnisses zwischen Mann und Frau, das Driften der Paare auseinander und wieder zueinander zur Dualität; Raffinesse kommt auf. Die sechs Tänzer agieren sehr engagiert, dynamisch, stehen offensichtlich in Konkurrenz und versöhnen sich dann wieder. Und sie demonstrieren eine ganz große Qualität des Tanzes mit hochästhetischen, eleganten Figuren und überragender Körperbeherrschung. Daher großes Kompliment für Lisa Kirsch, Mihyun Ko, Federico Casadei, Michele Nunziata, Giulia Marino und Abine Leao Ka; ihnen allen gebührt gleichermaßen die „Palme des Abends“, und ihnen gehörte der weit überwiegende Teil des jubelnden Applauses nach 75 Minuten ob ihrer persönlichen Leistung. Die Kostüme waren in stetem Wechsel, von zivil-bedeckt wurden sie immer spärlicher bis hin zu erotischen, hautfarbenen Trikots; auch die Füße steckten nach weißen Turnschuhen nur noch in Socken und dann in nichts mehr.
Ein Teil der Zuschauer – beide Veranstaltungen waren ausverkauft – dürfte sich auf eine Offenbach- und Operetten-Seligkeit gefreut haben. Damit lag man allerdings knapp daneben. Zudem entspricht ein „Auftragswerk“ mit unbekanntem Ergebnis nicht unbedingt den Intentionen des Auftraggebers Offenbachgesellschaft. Ungeachtet dessen war es ein klasse Abend, spannend und anregend, typisch für die vielfältige Kulturszene der Stadt. Und gemeinsam gesungen wurde auch, allerdings nichts Kölsches, sondern ein Geburtstagsständchen für den Choreografen Emanuele.
The Offenbach Project: Invasion | 19., 20.10. je 20 Uhr | Ehrenfeldstudios | karten@ehrenfeldstudios.de
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