Die vielbeschworenen Begriffe des Dialogs und der Teilhabe liegen denjenigen, die sich in Zeiten von politischer Spaltung und zunehmendem Rechtsdruck endlich mehr gesellschaftlichen Konsens und Zusammenhalt wünschen, schon lange bleiern im Magen. Viele halten sie für eine unabdingbare Bedingung, um Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus entgegenzuwirken, doch nur die wenigsten haben konkrete Ansätze, um sie in die Praxis umzusetzen.
Passend zu den Schwierigkeiten, die der Wunsch nach mehr Dialog und gesellschaftlicher Teilhabe bereitet, nennt sich der Wuppertaler Ort, der genau dies zum Ziel hat, Utopiastadt. Das Gebäude des Bahnhofs Wuppertal-Mirke aus dem späten 19. Jahrhundert wird sein nunmehr zehn Jahren als soziokulturelles Zentrum und öffentlicher Ort für die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Projekte genutzt. Über 200 Ehrenamtler:innen engagieren sich hier – sei es im Foodsharing, beim Urban Gardening, beim kostenlosen Fahrradverleih oder bei der Renovierung der ehemaligen Gepäckabfertigung des Bahnhofsgebäudes. So auch Eberhard und Richie, die hier beide jeden Samstag renovieren und auch sonst viel Zeit in Utopiastadt verbringen.
Was genau macht diesen Ort zu einem Ort der Teilhabe? Eberhard weißt darauf hin, dass Utopiastadt einer der wenigen öffentlichen Orte in Wuppertal ist, an denen man sich begegnen und etwas unternehmen kann, ohne gezwungen zu sein, etwas zu konsumieren. Einkaufszentren, Freizeitparks, Cafés, Zoos, Kinos – fast überall entscheidet der Kontostand über den Zutritt. In Utopiastadt gibt es nicht nur schöne Möglichkeiten, sich direkt an der Nordbahn-Fahrradtrasse aufzuhalten, sondern es gibt auch Bildung und Kultur kostenlos – also überhaupt erst einmal einen niederschwelligen Zugang zu verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen und die Möglichkeit neue Leute kennenzulernen. Und so geschieht der Dialog hier nicht einfach bloß durch Diskussion, sondern vor allem über die Praxis. Darüber, dass man etwas miteinander tut, sei es Fahrräder zu reparieren, Essen zu retten, Tomaten zu pflanzen oder alte Wände einzureißen.
Doch ganz so einfach sei das alles dann doch wieder nicht, sagt Richie. Es genüge nicht, bloß eine Einladung an diejenigen auszusprechen, die sich Kultur und Bildung sonst finanziell nicht leisten können. Zum einen seien häufig Schamgrenzen zu überwinden, zum anderen verlange ehrenamtliche Mitarbeit auch immer Zeitressourcen, die viele nicht aufbringen können. Zudem falle es der überwiegend nicht-migrantischen Utopia-Gemeinschaft schwer, migrantische Communities zu erreichen. Doch wenn es ganz gezielte und regelmäßige Anlässe gebe, gelänge es auch immer wieder, Menschen außerhalb der Utopiastadt-„Blase“ zu erreichen.
Schon allein durch die Auswirkungen auf den Stadtteil Mirke und die breite gesellschaftliche Teilhabe, die Utopiastadt ermöglicht, empfinden Eberhard und Richie ihr Engagement als sehr politisch. Probleme mit dem politisch rechten Lager gebe es dabei eher selten. Die Mirke sei ein Viertel, in dem man als Nazi lieber nicht lebe.
DEUTSCHLAND OHNE GRÖSSENWAHN - Aktiv im Thema
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