Es ist schon eine beeindruckende Show, die Stage Entertainment in Zusammenarbeit mit den Klitschko-Brüdern und dem „Ur-Rocky“ Sylvester Stallone in Hamburg auf die Beine gestellt hat: Beim Finale verwandelt sich das Theater in eine Box-Arena. Ein Ring wird ins Parkett geschoben, die Besucher der ersten Reihen auf eine Tribüne auf der Bühne umplatziert. Von der Decke senkt sich einer der aus Sportarenen bekannten TV-Würfel herab, auf dessen Bildschirmen das Geschehen übertragen wird. So glaubt man wirklich, einem realen Boxkampf beizuwohnen, zumal Fight-Choreograph Steven Hoggett die beiden Kontrahenten Rocky (Drew Sarich) und Apollo (Terence Archie) perfekt instruiert hat. Überhaupt macht die technische Ausstattung dem Event-Musical wieder jede Ehre. Christopher Barrecas Bühnenbild fängt mit den lautlos einschwebenden Wohn-Elementen das kleinbürgerliche Ambiente ein, genauso, wie er mit kalten Prospekten die heruntergekommene Atmosphäre der Trainingshallen im Philadelphia der 70er Jahre trifft. Hier hält sich Rocky Balbao als drittklassiger Preisboxer und als Schuldeneintreiber für einen Kredithai über Wasser. Auch beim Werben um die Gunst der schüchternen Verkäuferin Adrian stellt sich der Erfolg erst nach einigen „Niederschlägen“ ein. Da bietet sich für ihn die große Chance, sein Versager-Image grundlegend zu ändern: Als der vorgesehene Gegner des Box-Champions Apollo ausfällt, beschließt der, gegen den Underdog Rocky anzutreten ...
Leider kann die künstlerische Umsetzung mit der technischen Perfektion nicht Schritt halten. Zwar hat der US-Regie-Newcomer Alex Timbers geschickt den Kammerspielton der Buchvorlage von Thomas Meehan umgesetzt und treibt mit einfallsreich eingesetzten Video-Projektionen die Handlung voran, erweist sich letztlich aber mehr als Theater- denn als Musical-Regisseur. Allerdings muss er mit einer Musik (Stephen Flaherty) arbeiten, die nicht gerade das Talent eines überdurchschnittlich begabten Komponisten atmet. Aber auch ein innovatives Choreographie-Konzept vermisst man bei „Rocky“: Kelly Devine lässt jede Möglichkeit verstreichen, sich zu profilieren. Dafür überzeugen die Darsteller schauspielerisch bis in die Nebenrollen hinein. Drew Sarichs wunderbar sonorer Gesangsstimme fehlen eigentlich nur die richtigen Songs (und bessere Liedtexte). Wietske van Tongeren (Adrian) allerdings wäre besser beraten, ihre Lieder nicht ständig mit gequetschter Beltstimme herauszuschreien.
Das auf der Charles Dickens-Geschichte basierende Musical „Vom Geist der Weihnacht“ legt dagegen mehr Wert auf Gefühl denn auf eine überbordende Technik. Seit Iris Limbarth die Regie des vor 12 Jahren entstandenen Musicals übernommen hat, hat sie der rührenden Bekehrung des Geizhalses Scrooge (großartig: Kristian Vetter) durch einen liebenden Engel (charismatisch: die Sängerin LaFee in ihrer ersten Bühnenrolle) von Jahr zu Jahr einen Hauch mehr Broadway-Qualität verliehen. Was „Rocky“ auf der Reeperbahn für die groß gewordenen Jungs ist, ist „Vom Geist der Weihnacht“ im Essener Colosseum für die ganze Familie: eine Musical-Geschenkideezum Jahresausklang.
„Rocky“ | www.stage-entertainment.de
„Vom Geist der Weihnacht“ | Colosseum Theater Essen | bis 31.12.2012 | www.vom-geist-der-weihnacht.de
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