Der Komponist, Liedtexter und Librettist Rupert Holmes nahm 1986 das gleichnamige Romanfragment von Charles Dickens als Vorlage, um das erste interaktive Musical zu erschaffen, bei dem das Publikum das Ende, genauer gesagt, die beiden Enden mitbestimmt. Denn es gilt nicht nur, den mutmaßlichen Mörder der Hauptfigur zu entlarven, sondern auch ein Paar ins Happy End zu entlassen.
Der Reiz von Holmes Dickens-Adaption liegt nicht nur in der Einbeziehung des Publikums, sondern auch in der als Theater-im-Theater erzählten Story. Der Prinzipal (großartig: Gerhard Mohr) einer Schmierentheater-Truppe im viktorianischen England stellt die Schauspieler mit ihren wirklichen und ihren Rollen-Namen vor, führt dann, immer wieder mit dem Publikum kommunizierend, durch das Stück. Aber auch die Darsteller begeben sich ab und an in den Zuschauerraum, mischen sich selbst in der Pause unter die Besucher – um das Interesse an Edwins Verschwinden aufrechtzuerhalten.
Leider sind diese „Nebenschauplätze“ schon das Salz in der Suppe. Denn auf der Bühne tut sich die Inszenierung des aus Graz stammenden Karl Absenger doch etwas schwer. Bei den „Massenszenen“ ist einfach zu wenig Bewegung auf der Bühne, der Opernchor strahlt die gewohnte Stadttheater-Bräsigkeit aus, und Teresa Rotembergs Choreographie zeigt wenig (Musical-) Talent. Dabei hat Holmes trotz der Sinfonie-Lastigkeit seiner Partitur durchaus ein paar dem Veaudeville-Charakter der Handlung geschuldete Nummern auf Lager. Mit dem Mitklatsch-Song „Wer macht das Rennen?“ wird man entspannt in die Pause entlassen, und lja Harjes lamentiert als Diener Bazzard umwerfend komisch darüber, dass er immer nur Nebenrollen bekommt („Ich hab nie Glück“). Aber die emotional aufgeladenen Duette der beiden Versprochenen, aber sich nicht Liebenden Rosa (Julia Lißel) und Drood (Roberta Valentini) verpuffen leider irgendwo sprachlich unverständlich im Raum.
Vielleicht hatte Ex-Intendant Wolfgang Quetes ja doch Recht, dass er Musicals nicht für Stadttheater-tauglich hielt. Leider zogen er und sein Nachfolger, Dr. Ulrich Peters, in der siebenjährigen Münsteraner Abstinenzzeit nicht die Konsequenzen und statteten das Haus mit einer adäquaten Tonanlage aus. So können zwar die Sinfoniker unter der Leitung von Thorsten Schmid-Kapfenburg glänzen, aber die in vielen Musicals (u.a. „Kein Pardon“) schon überzeugende Roberta Valentini und Julia Lißel, eine unserer liebreizendsten Musical-Darstellerinnen, müssen ihre Stimmen hier unter Wert verkaufen. Schauspielerisch aber bot das gesamte Ensemble einen vergnüglichen Abend, der doch noch mit einem Happy End zu Ende ging. Denn nach der Pflicht-Abstimmung zur Ermittlung des Mörders – per Umfrage im Publikum –,für dessen acht Varianten Holmes den jeweiligen Geständnis-Song komponiert hat, schritten die Zuschauer per Beifallstärke-Messgerät zur Kür: Aus 18 Kombinationsmöglichkeiten durften sie das Liebespaar des Stückes wählen. Statistisch gesehen müsste man also 26 Aufführungen von „Edwin Drood“ besuchen, um in den vollen Genuss dieses außergewöhnlichen Musicals zu kommen.
„Edwin Drood“ I www.theater-muenster.com
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