Der Herbst warf ein ganz einzigartiges Tonprodukt auf den Markt. Es saugt aktuelle Themen wie multikulturelles Miteinander, aktive Integration, Interkulturalität und Internationalität in sich ein: Da muss es wohl um die Weltsprache der Musik gehen.
Dass sich in dieser Disziplin die Kulturen mischen und die eine von der anderen lernt und sie sich zitieren, das ist segensreich üblich seit Jahrzehnten. Das Remy Filipovitch Ensemble, eine Sängerin mit Roots in Kamerun und Musiker aus Litauen, Polen, Kolumbien und aus dem Ruhrgebiet, hat sich neben einem friedlichen Europa in der Metropole Ruhr auch zum Ziel gesetzt, die Jazzgemeinde zu vergrößern: mit Klängen, die den Pop- oder Schlagerfreund nicht gleich verschrecken, aber auch, ohne sich stilistisch gänzlich anzubiedern.
Es ist eine CD, die einlädt, sich angenehm unterhalten zu lassen. Remy, ein alter Hase des Showgeschäfts, hat in Warschau, Boston, New York und Salzburg studiert. In seiner Laufbahn spielte er u.a. in der Big Band des Senders Freies Berlin, in der WDR Big Band und -Media Band sowie im Kölner Rundfunkorchester – unter Leitung der legendären Unterhaltungsorchester-Chefs Harald Banter, Kurt Edelhagen, Franz Grothe, Paul Kuhn, Dieter Reith oder Jerry van Rooyen. Jetzt hat er eigene Titel kreiert, aber auch richtige Haudegen des Mainstream wie „Sister Sadie“ oder „Summertime“ aufgemischt. In jedem Falle hat er einiges getan, was nicht zu erwarten war.
Überraschung 1: Eine günstige Live-CD als Konzertmitschnitt wird in diesem Genre leichterer Musik gern gewählt, dabei belebt das Publikum gleich die Stimmung, und der Hörer zuhause fühlt sich nicht mehr so einsam. Bei „Good Times“: Hier liegt eine antiseptisch von Fremdgeräuschen isolierte aufwendige Studioproduktion vor. – Überraschung 2: Man versammelt ein paar Kumpelkollegen zum Einspieltermin. Bei „Good Times“: Remy hat wirklich solide Musiker eingeladen, die künstlerisch teilweise mehr zu sagen hätten, sich aber hier dezent zurückhalten sollen – auch mal brillieren, aber nie nervend den Vordergrund blockieren. – Überraschung 3: Man zieht die ausgesuchten Nummern improvisierend vom Leadsheet, einem Blatt mit nur den nötigsten Infos wie Melodie und Harmonien. Bei „Good Times“: Die Remy-Arrangements sind aufwendig und sehr professionell gestrickt, mit bewährter Satzkunst, aber oft originell, und trotzdem ganz ohne Hip-Hop, Rap, Beatboxing usw. Remy Filipovitch versucht mit diesem Tonträger, eine neue Schublade über der „Easy Listening Jazz“-Kiste zu etablieren. Und er hat sogar eine eigene Bezeichnung dafür erfunden: „Pleasant Listening Jazz“ als Versuch, „einen nicht mit Jazz vertrauten Zuhörerkreis zu interessieren und evtl. auch langfristig für Jazz zu gewinnen“. Nachhaltigkeit spielt also auch noch eine Rolle. Die positiven Nachrichten bei dieser netten CD reißen bis zum Schluss nicht ab, Deshalb heißt der letzte Titel: „Things Are Getting Better“. Wahrscheinlich im Ruhrgebiet.
CD: Remy Filipovitch Ensemble: „Good Times“
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