„Solace“ heißt nicht nur die neue Einspielung des Jazzduos Sendecki/Spiegel, es könnte auch als Codewort einer bewegten Zeit gelten: „Trost“ findet die Jazzgemeinde in manch lyrischer Passage dieser Klein-Band aus akustischem Piano und Schlagzeug, die sich beim gemeinsamen Konzertieren in der NDR Big Band zusammen gefunden hat – und später auf die Idee kamen, es mal in ganz intimen musikalischen Rahmen auszuprobieren.
Die Vita des polnischen Pianisten Vladislav Sendecki spiegelt das Who-is-Who der europäischen Jazzszene wider. Als Wunderknabe ging der bei Krakau geborene damalige Klassikschüler auf eine erste Tournee, bis er den Jazz entdeckte – auch heute klingt der klassische Ton in seiner Anschlagskultur deutlich nach. 1981 kam der Pianist in die Schweiz, ein guter Ort und eine gute Zeit, um mit in Europa lebenden oder tourenden Fusion-Stars wie Jaco Pastorius, Marcus Miller, Billy Cobham, den Brecker-Brothers oder deutschen Edeljazzern wie Klaus Doldinger zu fusionieren. In Deutschland fühlte er sich im Norden heimisch, spielte zeitweise fest in der NDR Big Band und in den Gruppen von hiesigen Jazzstars wie Till Brönner oder Wolfgang Haffner. Jürgen Spiegel ist gebürtig ein Nordlicht, der Bremer wurde besonders mit dem sehr beliebten Tingvall Trio mehrfach ausgezeichnet. Als Schüler des Schweizer Altstars Charly Antolini veredelte er nicht nur sein Schlagzeugspiel, sondern auch den Blick auf die Möglichkeiten als Produzent und Komponist.
Zur ersten gemeinsamen Arbeit „Two in the mirror“ charakterisierte Sendecki in einem NDR-Interview seinen Partner Jürgen „als sehr einfühlsam, von empathisch bis zum heavy mother fucker“. Und dieses Spektrum benötigen beide Akteure auch für die letzte Produktion, die mit ihrem Titel und ihrer teilweise schwärmerischen Lyrik perfekt in einen Ort wie die Friedenskirche in Ratingen passt. Friedfertig wirkt dabei auch die originelle Besetzung ohne Bass. Dafür intensiviert der Drummer die Bassfrequenzen durch eine spezielle große Standtom, aber ohne den Freiraum in die Tiefe zu sperren. Das Kleinste Orchester der Welt, wie sich die beiden gern nennen, bleibt jazzige Kammermusik. In der Selbsteinschätzung des Duos, auf die Frage nach dem Besonderen ihrer Musik, folgt die Selbsterkenntnis, dass sie beide „schön“ spielen. Da ist was dran.
Solace | Fr 16.2. 19.30 Uhr | Friedenskirche Ratingen | 02102 810 63
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