Sonia Liza Kenterman ist eine griechisch-deutsche Filmemacherin, die an der London Film School ihr Regiestudium mit Auszeichnung beendete. Ihr 2012 entstandener Kurzfilm „Nicoleta“ konnte international mehr als ein Dutzend Preise gewinnen. Nach einem weiteren Kurzfilm („White Sheet“) hat sie nun ihr Langfilmdebüt inszeniert: „Der Hochzeitsschneider von Athen“ startet am 26. August in den deutschen Kinos.
choices: Frau Kenterman, haben Sie einen persönlichen Bezug zum Beruf des Schneiders?
Sonia Liza Kenterman: Nein, den habe ich nicht. Ich habe mich erst in der Drehbuchphase ausführlicher mit diesem Metier beschäftigt. Und dann auch im Zuge der Dreharbeiten, als mein Hauptdarsteller einiges über dieses Handwerk lernen musste. Mein persönlicher Bezug zum Film kommt über einen meiner Cousins in Griechenland, der Schmied ist, also ein anderer handwerklicher Beruf. Er war ein kleiner, unabhängiger Schmied, der mit dem Verlust seines Ladens konfrontiert wurde, weil er Schulden hatte.
Warum haben Sie sich dann für das Metier des Schneiders entschieden und nicht einen Film über einen Schmied gedreht?
(lacht) Meiner Meinung nach ist die Schneiderei einfach ein wunderschöner Beruf. Und es geht um den künstlerischen Schöpfungsprozess. In einer anderen Welt und einer anderen Situation hätte meine Hauptfigur auch ein Fashiondesigner werden können, so eine Art John Galliano. Es geht um seine ganze Kreativität, die so lange im Verborgenen lag, weil er sein ganzes Leben lang im Schatten seines Vaters verbracht hatte. Er muss sich davon befreien und endlich umsetzen, was er schon immer machen wollte. Es ist eigentlich eine Coming-of-Age-Geschichte. Wir haben uns auch für die Schneiderei entschieden, weil man heutzutage in einem Laden in 30 Minuten einen Anzug kaufen kann, aber, wenn man einen maßgeschneiderten Anzug möchte, dauert das drei Wochen, und es sind ganz viele Menschen in die Herstellung involviert. Sowohl der Schneider als auch der Kunde und der Stoffverkäufer verwenden eine Menge Zeit auf die Herstellung. Das gefällt mir sehr gut an der Schneiderei. Alle Beteiligten wissen dabei die Zeit zu schätzen, die der Herstellungsprozess benötigt.
„Es ist eine Entwicklung aus der Dunkelheit ans Licht“
Meiner Meinung nach ist Ihr Film ein Statement gegen Globalisierung und für die individuelle Handwerkskunst. Würden Sie da zustimmen?
Ja, da stimme ich uneingeschränkt zu, und es freut mich, dass Sie darauf hinweisen. Die Ironie dieses Mannes besteht darin, dass er, in dem Moment, in dem er alles zu verlieren droht, weil sich die Wirtschaft und das Verhalten der Menschen verändern, zurückgeht zu einer vergangenen, eigentlich veralteten Verkaufsform. Er kehrt zu Vergangenem zurück, um für sich selbst eine Zukunft zu schaffen.
Ihr Film hat einen starken visuellen Stil, der sich sehr auf Details konzentriert. Haben Sie diesen zusammen mit Ihrem Chefkameramann George Michelis geschaffen?
Ja, Michelis war bereits in einer sehr frühen Drehbuchfassung mit an Bord, also schon einige Jahre, bevor der eigentliche Dreh begann. Wir haben sehr viel miteinander gesprochen, und die gemeinsamen Ideen sind dann ins Skript eingeflossen, einschließlich der Wahl für die richtigen Locations. Er war da überaus hilfreich. Es sollte um jemanden gehen, der sich in einem Mikrokosmos versteckt, um dann mit der großen, weiten Welt konfrontiert zu werden. Es ist eine Entwicklung aus der Dunkelheit ans Licht, aus dem Schatten und einem fast schwarz-weißen Dasein in die Farbe. Die Heldenreise war auch so etwas wie eine Reise in die Farbe, in etwas Lebendigeres. Da er so isoliert und abgeschnitten von der Welt lebt, fokussiert sich bei ihm alles auf Details.
Eines dieser wiederkehrenden Details sind Einstellungen auf den Boden und auf die Schuhe der Menschen. Was hat das zu bedeuten?
Das ist ja fantastisch, dass Sie das erwähnen, das ist bislang noch niemandem aufgefallen! Wenn man Einstellungen plant, weiß man oft noch nicht, ob sie am Ende funktionieren werden. Die Idee bestand darin, dass Nikos es nicht gewohnt ist, hochzuschauen. Er schaut sich seine Gegenüber immer ganz genau an, untersucht von Kopf bis Fuß, was sie tragen. Er ist es nicht gewohnt, mit Menschen zu kommunizieren, es ist einfacher für ihn, nach unten zu schauen und sich damit weiter zu isolieren.
„Wir haben den Charakter wirklich um ihn herum entworfen“
Dimitris Imellos ist essenziell für den Film. Ist er in Griechenland ein bekannter Schauspieler? Und war er Ihre erste Wahl für die Rolle?
Ja, in Griechenland ist er einer der herausragendsten Theaterdarsteller. Er hat auch eine Menge Filme gedreht, aber nie eine Hauptrolle darin gespielt. Ich hatte ihn schon in einer sehr frühen Drehbuchphase im Kopf, denn mit 18 Jahren hatte ich ihn bereits das erste Mal auf der Theaterbühne in Athen in einem legendären Stück gesehen. Als er dann für die Rolle zusagte, haben wir den Charakter wirklich um ihn herum entworfen. Durch ihn kommen auch viele komische Elemente in den Film. Indem wir uns für ihn entschieden haben, haben wir den Charakter weiter definiert, denn ein anderer Schauspieler hätte ihn auf einen ganz anderen Weg geführt. Er teilt mit der Figur auch einige Charaktereigenschaften, obwohl ich nicht weiß, ob er mir hier zustimmen würde. Er ist zwar nicht so schüchtern, nicht so strukturiert wie Nikos. Aber er ist sehr auf sein Handwerk fokussiert, hat nicht sehr viele Freunde, und ist im Innern immer noch ein Kind. Er reagiert auf viele Dinge noch immer wie ein Kind, wie wenn er diese zum ersten Mal sieht.
Nikos redet nicht sehr viel, aber in Kombination mit seinem Talent, sich mit Kindern zu verständigen, hat er mich an Stummfilmkomiker wie Charlie Chaplin und Jacques Tati erinnert. Waren das Vorbilder für die Figur?
Ja, auf jeden Fall. Ich habe mir deren Filme immer wieder angesehen und dabei auf ganz viele Details geachtet, auch die Filme von Buster Keaton dienten mir als Hauptanhaltspunkt. Denn für mich ist Nikos eine Figur aus der alten Welt, auch sein Verhalten ist sehr altmodisch. Was mir an diesen Stummfilmkomikern so gefällt und weshalb wir sie als Vorbilder auswählten, ist die Tatsache, dass bei ihnen schon die minimalsten Bewegungen und Gesten eine große Wirkung entfalten. Die komischen Elemente im Film entstehen aus der Umgebung, denn die Hauptfigur steht im Widerspruch zur Welt um sie herum.
Ihr nächster Film „Athens Dresden“ steht schon in den Startlöchern, verursachen die Corona-Restriktionen dabei Probleme? „Der Hochzeitsschneider von Athen“ ist vermutlich schon vor der Pandemie entstanden?
Ja, das stimmt, der entstand schon davor. Ich hatte das Glück, dass ich mit der Post-Production in Berlin gerade zum Ende gekommen war, als zwei Wochen später die ganze Welt in den Lockdown ging. Das war natürlich ein großes Glück, andererseits hat es nun über ein Jahr gedauert, bis der Film endlich in die Kinos kommen konnte. „Athens Dresden“ ist noch in einer sehr frühen Skriptphase, deswegen wird es hier sicherlich noch eine Weile dauern, bis wir mit den Dreharbeiten beginnen können.
Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Als unabhängiges und kostenloses Medium sind wir auf die Unterstützung unserer Leserinnen und Leser angewiesen. Wenn Sie uns und unsere Arbeit finanziell mit einem freiwilligen Betrag unterstützen möchten, dann erfahren Sie über den nebenstehenden Button mehr.
„Es geht um Geld, Gerechtigkeit und Gemeinschaft“
Regisseurin Natja Brunckhorst über „Zwei zu eins“ – Gespräch zum Film 07/24
„Ich mag realistische Komödien lieber“
Josef Hader über „Andrea lässt sich scheiden“ – Roter Teppich 04/24
„Kafka empfand für Dora eine große Bewunderung“
Henriette Confurius über „Die Herrlichkeit des Lebens“ – Roter Teppich 03/24
„Alles ist heute deutlich komplizierter geworden“
Julien Hervé über „Oh la la – Wer ahnt denn sowas?“ – Gespräch zum Film 03/24
„Versagen ist etwas sehr Schönes“
Regisseur Taika Waititi über „Next Goal Wins“ – Gespräch zum Film 01/24
„Ich muss an das glauben, was ich filme“
Denis Imbert über „Auf dem Weg“ – Gespräch zum Film 12/23
„Zufriedenheit ist eine innere Einstellungssache“
Stefan Gorski über „Ein ganzes Leben“ – Roter Teppich 11/23
„Ich fühle mich oft als Außenseiter“
Exklusiv: Teo Yoo über „Past Lives – In einem anderen Leben“ – Roter Teppich 08/23
„Das Leben ist im Doppel einfacher zu meistern“
Burghart Klaußner über „Die Unschärferelation der Liebe“ – Roter Teppich 07/23
„Petzold hat einen Reichtum an Anekdoten“
Enno Trebs über „Roter Himmel“ – Roter Teppich 04/23
„Ich hatte bei diesem Film enorm viel Glück“
Tarik Saleh über „Die Kairo Verschwörung“ – Gespräch zum Film 04/23
„Einen Körpertausch würde ich nicht gerne machen“
Jonas Dassler über „Aus meiner Haut“ – Roter Teppich 02/23
„Die Geschichte ist jetzt unfassbar aktuell“
Regisseur Andreas Dresen über „In Liebe, Eure Hilde“ – Gespräch zum Film 10/24
„Bei Schule können wir nicht einfach etwas behaupten“
3 Fragen an Johannes Duncker, Drehbuchautor von „Das Lehrerzimmer“ – Gespräch zum Film 04/23
„Ich wollte das Geheimnis seiner Kunst ergründen“
Regina Schilling über „Igor Levit – No Fear“ – Gespräch zum Film 10/22
„Ich wollte das damalige Leben erfahrbar machen“
Maggie Peren über „Der Passfälscher“ – Gespräch zum Film 10/22
„Migration wird uns noch lange beschäftigen“
Louis-Julien Petit über „Die Küchenbrigade“ – Gespräch zum Film 09/22
„Die Wüste ist ein dritter Charakter im Film“
Stefan Sarazin über „Nicht ganz koscher – Eine göttliche Komödie“ – Gespräch zum Film 08/22
„Diese Generationenkonflikte kennen viele“
Katharina Marie Schubert über „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ – Gespräch zum Film 02/22
„In der Geschichte geht es um Machtverhältnisse“
Bettina Oberli über „Wanda, mein Wunder“ – Gespräch zum Film 01/22