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Nachlassdepot von innen: schon jetzt prall gefüllte Regale
Foto: Dieter Wolf

Vom Zahn der Zeit

28. Juli 2011

Anna & Bernhard J. Blume über die Relativität von guter Kunst und künstlerische Nachhaltigkeit – Thema 08/11 Endlager für Kunst

choices: In Brauweiler werden in einem so genannten Schaumagazin Werkgruppen verstorbener Künstler gesammelt. Macht das Sinn, brauchen wir sowas?
Anna Blume (A.B.)
: Eine berechtigte Frage. Kommt drauf an, kostet ja sicher eine Stange Geld, eine derartige Institution mit allem Drum und Dran aufzubauen und zu unterhalten.

Wie man’s nimmt. Beim damaligen Ministerpräsidenten Rüttgers waren vor allem 20 Millionen Euro für die Baumaßnahmen vorgesehen. Die derzeitige Landesregierung betreibt dieses Projekt mit weitaus weniger Enthusiasmus.
A.B.
: Handelt es sich denn um Nachlässe aus der bildenden Kunst der Nachkriegszeit? Betrifft es nur Künstler aus dieser Region, oder Künstler-Nachlässe aus Gesamtdeutschland?

Es soll wohl im Weiteren ein bundesweites Projekt werden.
Bernhard J. Blume (B.J.B.): Auch Pulheimer Initiativen können bundesweite Strahlkraft entwickeln. Denken Sie an das Skulpturen-Projekt in der alten Synagoge in Stommeln. Das wird sogar international wahrgenommen.
A.B.: Aber das ist natürlich was ganz anderes. Im Ernst: Die Archivierung und Magazinierung von Künstlernachlässen sollte, wenn überhaupt, doch besser „gesamtdeutsch“ angelegt werden. Oder macht da jedes Bundesland wieder seinen eigenen Laden auf?

Nicht dass ich wüsste.
B.J.B.: Zum einen: „Gute Kunst“ … wer bestimmt das? Und zum anderen: Warum befragen Sie ausgerechnet uns?

Sie haben nun mal ein gewisses Alter erreicht, in dem Künstler anfangen, sich Gedanken zu machen, was posthum bleibt.
B.J.B.: Ja durchaus. Aber wir arbeiten andauernd daran, unseren eventuellen Nachlass möglichst klein zu halten. Fast alle unsere Fotoarbeiten sind in erster Auflage bereits in diversen Museen gelandet. Die haben große Depots.

Wie ich weiß, hatten Sie doch in den letzten drei bis vier Jahren umfängliche Ausstellungen, zuletzt sogar in der Nationalgalerie Berlin, im Museum Hamburger Bahnhof?
A.B.:
Ja, diese und einige zuvor installierte Ausstellungen waren tatsächlich umfänglich, weil sie zugleich retrospektiv angelegt waren. Vieles ist aus Sammlungen oder Museen dafür ausgeliehen worden. Aus dem Atelier kamen dann nur die seit dem Jahr 2000 entstandenen Arbeiten dazu.

Bernhard Joh. und Anna Blume
Foto: Dieter Wolf
Bernhard Joh. und Anna Blume (beide 74) leben in Köln und arbeiten als Fotokünstler und Zeichner. Seit den frühen 70er Jahren entwickeln sie ihre Kunst mit Polaroid- und Großfoto-Serien. Ihre Arbeiten befinden sich in Sammlungen vieler Museen. Aufsehen erregten insbesondere provokante Fotoserien wie „Ödipale Komplikationen?“ und spätere Titel wie „Trautes Heim“. Anna Blume unterrichtete über 20 Jahre als Kunst- und Werklehrerin an verschiedenen Kölner Gymnasien. Bernhard Joh. Blume war von 1987 bis 2002 Professor für Freie Kunst und Visuelle Kommunikation an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg.

Also könnte doch noch was als „Nachlass“ auf uns zukommen?
A.B.
: Ja, wir produzieren immerfort weiter, um der Nachwelt so eindrücklich wie möglich in Erinnerung zu bleiben.

Und wo, mit Verlaub , bleibt das Zeug posthum?
B.J.B.
:Wir hoffen, es landet alles noch zu Lebzeiten bei Sammlern oder im Museum. Der Rest wird per Testament fürs Recycling freigegeben.

Mal abgesehen von Ihrer Kunst, macht es Sinn, den Nachlass eines Künstlers zu sichten, den heute fast niemand mehr kennt, der aber zu Lebzeiten z.B. mehrfach an der Documenta teilgenommen hat?
A.B.:
Von wem sprechen Sie? Immerhin hätte der doch zu Lebzeiten eine erhebliche Anerkennung erlebt. Auch die Documenta ist kein Letzt-Kriterium für künstlerische Nachhaltigkeit.
B.J.B.: Aber immerhin eine Nobilitierung. Wenn unser Beispiel-Künstler inzwischen dennoch in Vergessenheit geriet, liegt es womöglich am fehlenden Zukunftspotential seiner Kunst.

Spricht das gegen eine Einrichtung wie Brauweiler?
B.J.B.
: Das auch wieder nicht. Das eigentliche Zukunftspotential kann ja bis dato übersehen worden sein und wird just erst im Schaulager im Wege eines Ideen-Recyclings wiederentdeckt.

Was ist dann mit den vielbeschworenen „bleibenden Werten“ der Kunst?
A.B.:
„Bleibende Werte“! Die werden doch in erster Linie von der Politik beschworen. Ideen existieren doch nicht in einem platonischen Ideenhimmel, sondern sind auf jeden Fall etwas Lebendiges.
B.J.B.: Ja, der Beuys hat es mir in einem öffentlichen Gespräch mal so gesagt: „Ideen sind Lebewesen“.

Braucht es für ein solches Archiv und Schaulager-Projekt nicht doch so etwas wie den Glauben an eine gewisse „Wertbeständigkeit“?
B.J.B.
: Ich weiß nicht. Im Sinne von Beuys wären Ideen und Werte jedenfalls permanent zu verlebendigen. Die Kunst der jeweiligen Gegenwart arbeitet zu Recht und immer an Neuformulierungen und sollte frei sein von Fixationen.
A.B.: Aber in die Freiheit spielen dann doch eine Menge Faktoren rein, die mit Freiheit nix zu tun haben. Zum Beispiel der Markt, die Macht der Sammler, die fixen Ideen der Museumskuratoren …
B.J.B.: Stimmt. Alles ist relativ. Es gibt jedenfalls kein überzeitlich-objektives Kriterium für Kunst. Auch wenn sich immer wieder Künstler und Philosophen um Regeln ästhetischer Übereinkunft streiten. Insofern müssen die Künstler-Subjekte selbst bestimmen, was Kunst ist oder sein soll! Klingt doch heroisch, oder?
A.B.:Ja, nur irgendwann müssen die künstlerischen Privatsubjekte, wenn sie denn Künstler zu sein beanspruchen, sich auch mal einer Öffentlichkeit stellen. Insofern hängen die Kunst und ihr Stellenwert dann doch von sehr vielen anderen Faktoren und anderen „Privat“-Subjekten ab.
B.J.B.: Das ist das verdammte Risiko. Deshalb sollte man baldigst so ein Archiv inklusive Schaulager einrichten. Vielleicht wurde ja wirklich etwas übersehen.

TEXT: DIETER WOLF

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