Es mag nicht die gewichtigste (Doppel-)Rolle seiner Karriere sein, doch Sergej Khomov wird sie sicher ebenso im Gedächtnis haften bleiben wie seinem Publikum in der Düsseldorfer Rheinoper. Denn der russische Tenor darf auf der Opernbühne spielen, was man sonst nur aus blutrünstigen Horrorfilmen kennt: Als irrer Doktor Agrippa sägt er einer Leiche das Gehirn aus dem Schädel und setzt als Mephisto in einer makaber überdrehten Varieté-Szene der Splatter-Parade noch die Krone auf: Dem Kellner, der ihm kein Fleisch zum Wein servieren mag, wird kurzerhand ein Arm abgesägt und durch den Wolf gedreht.
Es ist schon eine geballte Ladung schwarzen Humors, mit dem Regisseur Immo Karaman seine Inszenierung von Sergej Prokofjews kurzem Fünfakter „Der feurige Engel“ würzt. Und in der Tat würdigt – im Gegensatz zum überaus lustvoll klingenden Bösewicht – nur ein kleiner Teil des Publikums diesen blutigen Sarkasmus mit einem Lachen. Gefeiert wird die Produktion am Ende dennoch. Sowohl szenisch als auch musikalisch ist der Rheinoper mit der letzten Premiere vor der Sommerpause ein echter Coup geglückt.
Es sind nicht die Ingredienzien, die Karamans Inszenierung so fesselnd machen. Eine Oper als Horrorfilm hat es durchaus schon öfter gegeben, Kunstblut ist woanders gar viel exzessiver geflossen. Und die Verlegung einer reichlich krausen Handlung – wie jener von Waleri Brjussows historischem Roman, der dem Komponisten zur Vorlage seines Librettos diente – in eine Nervenheilanstalt ist in der Opernregie zurzeit gar der reinste Modetrend. Dennoch ist Karaman etwas Herausragendes gelungen, bei dem einfach alles zusammenpasst – weil er nah an der Musik inszeniert, auf seine Darsteller eingeht und nichts im luftleeren Raum erfindet. Aus einer reichlich abgedrehten Geschichte aus dem 16. Jahrhundert um eine Frau namens Renata, die von einer Engelserscheinung in ihrer Jugend besessen ist und einer vermeintlichen Reinkarnation dieses – auch in sexueller Hinsicht – feurigen Engels hinterherjagt, wird so ein nachvollziehbares Seelendrama, dem es allerdings an keiner Stelle an wirkungsvoller äußerer Handlung fehlt.
Denn dass Renata mit solchen Hirngespinsten in der Psychiatrie gelandet ist, ist aus heutiger Sicht – Karaman verlegt die Handlung ins frühe bis mittlere 20. Jahrhundert – durchaus plausibel. Aus Ruprecht, dem jugendlichen Schwärmer, macht Karaman einen Psychiater in mittleren Jahren, der seiner Patientin in einer Amour fou verfällt, und schreibt Bariton Boris Statsenko damit eine passgenaue Rolle zu, die das langjährige Ensemblemitglied mit äußerster Hingabe und großem Charisma ausfüllt.
Svetlana Sozdateleva hat die Renata bereits in Brüssel und Berlin gesungen und gestaltet die Partie entsprechend differenziert, sicher und strahlkräftig. Im Orchestergraben entfesselt der junge Kapellmeister Wen-Pin Chien unterdessen eine aufregende emotionale Achterbahnfahrt zwischen zarter Schwärmerei und schmerzhaft zerrender Angst. Großartig.
„Der feurige Engel“ | R: Immo Karaman | WA im Oktober | Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf | 0211 892 52 11
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