Georges Remi alias Hergé hat Ende der 1920er Jahre einen Reporter und seinen Hund als Fortsetzungsgeschichte in einer Zeitung nach Russland geschickt. Daraus sollte eine der bekanntesten Comic-Figuren und mit der Ligne Claire einer der einflussreichsten Zeichenstile werden. „Tim im Lande der Sowjets“ erschien allerdings in der rechtskonservativen, klerikalen Zeitung „Le XX Siècle“. Dessen radikaler Führer war Pater Norbert Wallez, der Hergé dann auch zu dem höchst rassistischen, pro-kolonialistischen Comic „Tim im Kongo“ anstiftete. Und so ist der Comic, der nun auch in einer behutsam vollzogenen Kolorierung vorliegt, nicht sonderlich subtile antikommunistische Propaganda. Den Stalinismus in einigen Punkten vielleicht gar nicht so unpassend illustrierend, ist Tims Russlandreise aber vor allem spannend, weil man Seite für Seite beobachten kann, wie ein Klassiker entsteht. Spätere Werke sind besser recherchiert und nicht derart politisiert, aber auch nach dem zweiten Weltkrieg hatte Hergé mit Antisemitismusvorwürfen zu kämpfen (Carlsen).
Auch Im Sammelband „Mr. Natural“ kann man einer Figur bei seiner Entstehung beiwohnen. Neben Fritz the Cat ist der Guru Mr. Natural wahrscheinlich die bekannteste Figur von Robert Crumb. Hauptsächlich zwischen 1967 und 1977 gezeichnet – die Reifung seiner Technik und seines Stils lässt sich gut ablesen – ist die Figur eine Persiflage auf die Gurus der Gegenkultur. Doch Crumb macht sich weniger über den Guru lustig, als dass er mit ihm ein Gegenmodell liefert, das wenig salbungsvoll lustige, zynische oder komplett absurde Ratschläge liefert. Gründe für die Sexismus- und Rassismusvorwürfe, denen sich Crumb seit einigen Jahren ausgeliefert sieht, findet man auch in diesem Band, der als sechster Teil in der Crumb-Reihe des Verlags Reprodukt erscheint.
In „Motörhead – Der Aufstieg der lautesten Band der Welt“ wird Lemmy Kilmister als Gentleman-Prolet gezeichnet. Der als autorisiert markierte, weil auf Lemmys Autobiografie basierende Comic von David Calcano und Mark Irwin erzählt von dessen Kindheit und Jugend über die knapp fünf Jahre bei den Spacerockern Hawkwind und die Gründung von Motörhead bis zu deren größten Erfolgen. Solides, in dunklen Farbtönen erzähltes Rockerepos, das vor allem eine Heldenverehrung ist (Cross Cult).
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