So mögen viele Opernfreunde ihren Mozart immer noch am liebsten: In aufwendigen Rokoko-Kostümen und im Italien des 18. Jahrhunderts spielend – konventionell inszeniert könnte man das nennen. Und liegt damit auch nicht falsch. Dennoch tut man dem englischen Regisseur Unrecht, ihn bei seinem Regiedebüt am Essener Aalto-Theater der Phantasielosigkeit zu bezichtigen. Denn in der Tat wartet seine Inszenierung mit einigen überraschenden Feinheiten auf.
Als Glücksfall erweist sich für den Regisseur, dass ihm mit Tamara Banješevič als Fiordiligi und Katrin Strobos als Dorabella zwei Sängerinnen zur Verfügung stehen, die äußerlich glatt als Zwillinge durchgehen und auch im Klang ihrer Stimmen sehr nahe beieinander liegen. Mozart hatte die Partien tatsächlich für zwei Schwestern geschrieben. Lawless nutzt die Ähnlichkeit nun aus, um dem eigentlichen, von Mozart und seinem Librettisten Lorenzo da Ponte entworfenen Verwirrspiel, in dem die Männer sich verkleiden, um die Treue ihrer Bräute zu testen, noch einen drauf zu setzen: Auch die Frauen tauschen zu Beginn des zweiten Aktes die Kleider und machen das Tohuwabohu noch größer. Andere Regisseure hätten dies vielleicht zum Ausgangspunkt einer überdrehten Boulevardkomödie genommen. Doch Lawless geht es eher um Hintergründiges wie den Identitätsverlust, den die Beteiligten in ihren starken Gefühlsaufwallungen erleiden.
Damit trifft er durchaus den Kern des Stücks und zieht zudem am selben Strang wie Generalmusikdirektor Tomáš Netopil, der mit kleiner Orchesterbesetzung in halb hochgefahrenem Graben sehr starke Momente gerade in den ruhigen und leiseren Passagen entwickelt. Die Besetzung ist für Dirigent und Regisseur gleichermaßen ein Glücksfall: Den strahlenden, aber durchaus Selbstbewusstsein verströmenden Sopranstimmen der Schwestern stehen mit Dmitri Ivantchey als Ferrando und Martijn Cornet als Guglielmo sehr passende, jugendlich agile Männerstimmen gegenüber. Einen glänzenden Auftritt hat zudem Liliana de Sousa als Zofe Despina, die im Spannungsfeld zwischen Sexappeal und weiblicher Selbstbehauptung ihr ganzes Temperament ausspielen kann. Denn die Frauen sind in dieser Fassung nicht mehr nur die Versuchskaninchen.
„Così fan tutte“ | 22.9. 18 Uhr, 5.10. 19 Uhr | Aalto-Theater Essen | 0201 812 22 00
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