Den Titel von Cole Porters „Anything Goes“ kann man durchaus programmatisch für die Arbeit des TiC-Theaters verstehen: „Alles geht“, selbst das, was auf den ersten Blick unmöglich scheint. Kerstin Fabers genial-einfaches Bühnenbild schafft es, die Illusion eines Luxus-Liners auf hoher See in den Köpfen der Zuschauer entstehen zu lassen. Ralf Budde hat mit viel Geschick eine „Readers Digest“-Fassung des personalintensiven Stücks erarbeitet, in dem er statt vieler Matrosen nur einen (Philip Flanze) – und den gleich in mehreren Rollen – übers Deck stolpern lässt. Zudem hat er manche Nebenhandlungen ganz gestrichen, wenn sie für das Verständnis der Geschichte nicht unbedingt vonnöten sind. Was andererseits den Vorteil hat, dass die von Budde auf den Punkt hin inszenierten Pointen noch dichter einschlagen, die Ereignisse auf der „M.S. Amerika“ sich in noch schnelleren Rhythmus als auf der Jungfernfahrt des Musicals 1934 am Broadway überschlagen:
Billy Crocker (Christopher Geiß), Assistent des Börsenmaklers Elisha Whitney (Torsten Kress) schleicht sich als blinder Passagier auf den Ozeandampfer, um seiner Angebeteten Hope (Charlotte Reinke) nahe zu sein. Doch deren Mutter (Dorina Joch) will sie mit dem reichen Engländer Sir Evelyn Oakleigh (Florian Sigmund) verheiraten. Und da sind auch noch ein als Pfarrer verkleideter Gangster (Wolfgang Sprotte), dessen Matrosen-tolle Braut Erma (Nadine Thiele), ein echter geistlicher Würdenträger (Dennis Gottschalk) und die als Laienpredigerin auftretende Nachtclubsängerin Reno (Jennifer Pahlke), die den Publicity-geilen Kapitän (Tobias Unverzagt) zur Verzweiflung treiben. Am Ende bekommt natürlich jeder unter (Liebes-)Druck stehende „Topf“ seinen passenden „Deckel“...
Veredelt wird die boulevardeske Story durch einige der schönsten Cole-Porter-Melodien (u.a. „I Get a Kick Out of You“, „You‘re the Top“), deren deutsche Texte der musikalische Leiter des TiC, Stefan Hüfner, etwas aufgefrischt und mit jenem satten Big-Band-Sound versehen hat, der damals wohl in den Salons der Ozean-Riesen erklang. Dana Großmann fügt ihrem virtuellen Choreografie-Buch („Wie man Tänze entwickelt und einstudiert, für die eigentlich kein Platz ist“) ein weiteres Kapitel hinzu, das von den Akteuren mit Schmiss umgesetzt wird. Allen voran von Jennifer Pahlke, der nicht nur Kerstin Fabers Kostüme auf den sinnlichen Leib geschneidert zu sein scheinen. Wer nach ihrem betörenden „Blow Gabriel, Blow“ nicht erweckt ist, dem ist einfach nicht zu helfen. Nadine Thiele, die gerade die Endausscheidung des Wettbewerbs „Jugend musiziert“ (Sparte: Musical) erreicht hat, steht Jennifer Pahlke gesanglich in nichts nach, wirkt aber schauspielerisch noch unsicher, was sie einige Pointen versemmeln lässt. Florian Sigmund gibt wunderbar den schrulligen, englischen Lord und legt dazu mit Pahlke einen Tango aufs Parkett, der den Saal toben lässt.
„Anything Goes“ | R: Ralf Budde | keine weiteren Termine | TiC-Atelier Unterkirchen | 0202 47 22 11
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