Der Freischütz wurde bei seiner Uraufführung im Jahr 1821 in Berlin in den Rang einer Nationaloper erhoben und gegen die vorherrschende italienische Oper ausgespielt. Der aufkommende Nationalismus sah in diesem Werk den deutschen Geist widergespiegelt, obwohl die musikgeschichtlichen Voraussetzungen der Freischütz-Partitur eigentlich in der französischen opera-comique und der Revolutionsoper liegen. Allenfalls den Stoff kann man als deutsch bezeichnen, denn er basiert auf einer Volkssage, die unmittelbar nach dem 30jährigen Krieg spielt.
Der junge Jäger Max muss sich als Schütze durch einen Probeschuss beweisen, wenn er die Tochter des Erbförsters für sich gewinnen und die Nachfolge der Erbförsterei antreten will. Eine Pechsträhne verfolgt ihn und er erliegt der Verführung, einen Pakt mit bösen Mächten einzugehen, um sein Ziel zu erreichen. Dass man ihn täuscht, ahnt er nicht. Die Erzählung aus dem 1810 erschienenen Gespensterbuch von Johann August Apel endet, anders als die Oper, tragisch. Die Braut wird von einer Kugel tödlich getroffen. Max, der Schütze, verfällt dem Wahnsinn. Die Vorlage stellt somit weniger eine Gespenstergeschichte, als eine Studie über einen in sich zerrissenen, von Versagensangst getriebenen Menschen dar, dessen Vernunft vor dem Irrationalismus kapituliert.
Der Librettist der Oper hingegen macht aus dem inneren Kampf einen übergeordneten Kampf himmlischer gegen höllische Mächte. Kaspar ist Kriegsveteran, der den dreißigjährigen Krieg dadurch überlebte, dass er seine Seele dem Teufel verschrieb. Um sich selbst zu retten, will er Max Seele dem Teufel übergeben. Am Ende siegen das Gottvertrauen und die Bekehrung zum guten Prinzip. Kaspar stirbt, von der Kugel tödlich getroffen, statt der Braut. Max wird die Hochzeit nach einem Jahr der guten Führung in Aussicht gestellt.
Weber erfindet im Freischütz eine Klang-Chiffre für die Darstellung des Bösen als Prinzip: Er setzt einen düster instrumentierten, spannungsreichen Akkord programmatisch ein, den verminderten Septakkord. Die scharfe Dissonanz und die Mehrdeutigkeit der Auflösungsmöglichkeiten prägen das Klangbild dieses Akkordes, der das Böse als unheimlich und unfassbar ganz im Sinne der Romantik hörbar macht.
In der berühmten Wolfsschluchtszene tritt Samiel, Schlag Mitternacht, als allmächtiger Hollenfürst auf und entfesselt die dämonischen Kräfte der Natur in einer groß angelegten, dreiteiligen musikalischen Phantasmagorie. Der Eröffnungsteil schildert die Mondfinsternis mit jagenden Wolken, das Erscheinen von bedrohlichen Waldvögeln und des wilden schwarzen Ebers, dazu pfeift der Sturmwind. Im Mittelteil hört man die Geräusche einer Hetzjagd: Rasseln, Peitschengeknall, Pferdegetrappel, Hundegebell. Auf dem Höhepunkt, dem dritten Teil, bricht ein Gewitter los, aus der Erde schlagen Flammen, auf den Berghöhen tanzen Irrlichter. Schlag eins ist der Spuk vorbei und der musikalische Exzess verklingt in einem unbewegten fis-moll Akkord.
Webers musikalische Darstellung des Grauens hat Musikgeschichte geschrieben und fesselte den damaligen Zuschauer in Verbindung mit der eindringlichen Bildhaftigkeit auf der Bühne, vergleichbar dem thrill, den heutige Kinobesucher angesichts des Horrors im „Blair Witch Project“ erleben.
Webers Botschaft im Freischütz ist unmissverständlich: Wer auf Gott vertraut, den schützt Gott vor dem Bösen. Für die Einsicht, dass das Böse kein Prinzip außerhalb des Menschen ist, sondern in seinem Inneren angelegt ist, war die Zeit noch nicht reif. Die Bedeutung des Unbewussten und des Destruktionstriebes erkannte Siegmund Freud erst sehr viel später.
„Der Freischütz“ | R: Viestur Kairish | Premiere: Sa 12.4. 19.30 Uhr | Oper Köln | 0221 22 12 84 00
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