Kaum hatte Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker angemahnt, die städtischen Bühnen sollten sich doch mehr ums Musical kümmern, schon steht Bernsteins zwischen Komischer Oper, Musical und Operette angesiedelter „Candide“ auf dem Spielplan. Spaß beiseite, so spontan geht es nun doch nicht im subventionierten Kulturbetrieb zu. Schon gar nicht in Köln. Aber vielleicht ist es ja der Beginn einer wunderbaren Freundschaft zum jahrzehntelang vernachlässigten Genre? Obwohl: 2017 gibt’s mit einer Operetten-Inszenierung erstmal einen Rückschritt, ehe in der übernächsten Spielzeit Intendantin Birgit Meyer vielleicht mit „The Sound of Music“ eines ihrer Lieblings-Musicals auf den Spielplan setzt? Zumal singende und tanzende Nonnen ja auch gut in die Domstadt passen würden.
Aber zuerst einmal geht es weniger heiter zu: Nachdem der uneheliche Candide seine „Schwester“ Cunegonde begehrt, wird er aus seinem westfälischen Schloss hinaus in die Welt verbannt. Candide erlebt Inquisition, Naturkatastrophen, Folter und Mord, trifft immer wieder auf seine alten Weggefährten: seinen Lehrer Pangloss, seine Angebetete, deren Kammerzofe Paquette, Cunegondes Bruder Maximilian und die Old Lady. Sie alle sind vermeintlich schon einmal vom leben in den Tod befördert worden, stehen aber auf wundersame Weise wieder auf – und treffen sich schließlich zum Happyend in Venedig...
Die vom Münchener Gärtnerplatz-Theater eingekaufte Inszenierung von Adam Cooper hält das bizarr-gewalttätige Geschehen in Fluss, wird bisweilen nur von der Bräsigkeit des hauseigenen Opernchors ein wenig ausgebremst, der mit der Leichtigkeit des Genres doch noch arg fremdelt. Genauso wie die Tontechnik, die die Balance zwischen Orchester und Stimmen nicht immer findet, sodass Bernsteins zündende Melodien manchmal etwas absaufen. Trotzdem macht es, dank Benjamin Shwartz‘ einfühlsamem Dirigat, ungeheuren Spaß, die musikalischen Schnittstellen zwischen „Candide“ und Bernsteins damals schon in Arbeit befindlicher „West Side Story“ herauszuhören.
Wer allerdings auf eine dynamische Choreografierung der abstrusen Weltreise hofft, wird enttäuscht. Coopers doch etwas eindimensionale Tanzeinlagen können mit seiner Regieleistung leider nicht mithalten. Wobei man nicht ganz sicher ist, ob es vielleicht auch am Musical-ungeübten Tanz-Ensemble liegt. Voll im Soll ist dagegen Alexander Franzen (Pangloss), einer unserer charismatischsten Musical-Darsteller. Er gibt dem Stück den nötigen schauspielerischen und gesanglichen Pfeffer, zu dem Gideon Poppe (Candide) seinen warmen Bariton und Emily Hindrichs (Cunegonde) ihren glasklaren Sopran beisteuern. Ob Bernstein Cunegondes durchdringende Koloraturen bei „Glitter and Be Gay“ als Parodie auf so manch „überzüchtete“ Opernstimme komponiert hat? Alles ist möglich in dieser ausschweifenden, frivolen, wenig zimperlichen und nicht immer „jugendfreien“, satirischen Suche nach der Besten aller möglichen Welten, die zu einem musikalischen Hochgenuss wird.
„Candide“ | R: Adam Cooper | 29.12., 4., 12.1. je 19.30 Uhr, 31.12., 8.1. je 18 Uhr | Oper Köln: Staatenhaus | 0221 221 28 400
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